Beerensommer
konnte man sich das gar nicht vorstellen, Johannes und ein Mädchen! Aber die Mutter hatte behauptet, sie habe es mit eigenen Augen gesehen, Hand in Hand seien sie gegangen und ganz verliebt hätten sie sich angeschaut. Sie hatte dann Emma gefragt, ob sie etwas wisse, Friedrich musste doch etwas angedeutet haben, aber Emma war genauso überrascht gewesen.
Und dann war der Tag gekommen, an dem sie Marie zum ersten Mal gesehen hatten. Es war ein Samstagnachmittag, Gretl weiß es noch genau! Der Sommer neigte sich schon und Emma und sie waren am Rand des Katzenbuckels auf der Suche nach Brombeeren gewesen. Friedrich hatte es nicht gerne gesehen, wenn Emma mit ihr zum Beerensammeln ging, sie hätten es jetzt nicht mehr nötig. Richtig wütend wurde er manchmal, aber Emma lachte ihn nur aus. Sie hielten immer noch zusammen, die gemeinsame Zeit in der Stadtmühle hatte ein unzerreißbares Band zwischen ihnen geknüpft; und Gretl war froh darüber, denn mit den neuen Bewohnern in der Stadtmühle hatten sie kaum Kontakt. Es waren zwei Familien, die den Vater und Ernährer im Krieg verloren hatten, und die wollten mit dem alten »Stadtmühlengesindel« nichts zu tun haben.
So waren nur noch die alte Frau Mühlbeck und Otto und Ernst übrig geblieben. Die alte Gemeinschaft war auseinander gefallen. Aber Johannes begleitete sie immer wieder, stieg nach der Arbeit oft nach oben in den Wald, vor allem im Sommer, wenn es lange hell war, und er hatte ihnen dann immer geholfen, den schweren Korb ins Tal zu tragen.
Deshalb hatten sie auch an diesem Samstagmittag geglaubt, er sei gekommen, um sie abzuholen, denn über den Wipfeln der Tannen färbte es sich schon rot und es war Zeit zum Aufbruch. Da hatte er plötzlich vor ihnen gestanden, ganz lautlos war er herangekommen, sie hatten es gar nicht bemerkt, und neben ihm stand ein Mädchen, eine junge Frau. Gretl weiß noch genau, was sie damals als Erstes gedacht hat: So ein hübsches Mädchen, da wird der Friedrich aber Augen machen, Friedrich mit seinen ewigen Weibergeschichten! Ganz Grunbach wusste davon und Emma erzählte ihr immer wieder, ihre Mutter gräme sich deswegen sehr.
So ein schönes Mädchen, dachte die kleine Gretl Haag damals – in ganz Grunbach gibt es keine, die so hübsch ist! Und wie der Johannes sie angesehen hatte! Er hatte sie dann als seine beiden ältesten Freundinnen vorgestellt und das Mädchen hatte ihnen freundlich die Hand entgegengestreckt.
Sie heiße Marie und sie sollten doch du sagen und für einen Moment herrschte verlegenes Schweigen, dann packte Johannes den Korb und sie traten gemeinsam den Rückweg an. Sie sei schon öfter mit Johannes hier oben gewesen und habe ihm beim Malen zugesehen, berichtete diese Marie ganz unbefangen, und Johannes habe schon viel von ihnen erzählt. Gretl hatte damals nur zugehört und Marie und Johannes immer wieder von der Seite verstohlen angesehen. Manchmal warfen sich die beiden einen Blick zu, ganz liebevoll und zärtlich.
Emma hielt sich abseits, trödelte absichtlich und die anderen mussten immer wieder eine Weile auf sie warten. Sie beteiligte sich nicht an der Unterhaltung und verabschiedete sich auch nicht, als sie unten im Dorf angekommen waren.
Johannes hatte Gretl angeboten, den Korb bis zur Stadtmühle zu tragen, denn er wollte Marie zeigen, wo er aufgewachsen war. Ganz unbefangen hatte er das gesagt und sie hat sich später überlegt, dass das wahrscheinlich der letzte Ort gewesen wäre, wo Friedrich mit einem seiner Mädchen hingegangen wäre. Damals hatte Johannes verblüfft Emma nachgeschaut, als sie grußlos hinter der Haustür verschwand, und Gretl hatte genau gehört, wie ihm Marie leise ins Ohr geflüstert hatte: »Lass sie, sie ist eifersüchtig.«
Ja, das ist es gewesen! Emma konnte Marie nie leiden, auch später nicht. Aber sie, Gretl, hatte Marie gleich ins Herz geschlossen.
Seufzend richtet Gretl sich auf und tastet nach dem Schalter der Nachttischlampe, als könne das plötzlich aufflammende Licht die Erinnerungen vertreiben. Aber es hilft nichts, die Bilder sind da, scharf und klar stehen sie vor ihrem inneren Auge.
Sie sieht Friedrich in die Küche der Weckerlins kommen. Eine gute Stube hatten sie damals nicht, aber in der Küche stand ein rotes Kanapee mit einem großen Eichentisch, Erbstücke von Frau Weckerlins Mutter. Dort versammelte man sich, wenn es etwas Besonderes zu feiern gab. Frau Weckerlin hatte Geburtstag gehabt, auch die Mutter und sie sind eingeladen gewesen, es
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