Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
Vom Netzwerk:
gesucht, noch einmal gründlich gefegt und ausgeklopft werden und dann wieder gewogen. Aber heute Abend schien alles zu stimmen und rasch kehrte Johannes wieder an seinen Arbeitstisch zurück.
    »Machst du heute wieder Überstunden?«, fragte ihn sein Tischnachbar Kurt Reiser, der schon die Jacke angezogen hatte und sich zum Gehen anschickte.
    Vorsichtig wickelte Johannes einen länglichen Gegenstand, den er gerade aus seinem Spind geholt hatte, aus dem grauen Staubtuch.
    »In vierzehn Tagen hat sie Geburtstag, bis dahin muss ich fertig sein.« Unter seinen Händen funkelte und blitzte es plötzlich auf. Ein silbern und blau schimmernder Kasten kam zum Vorschein, es war eine Schmuckkassette, deren Deckel schon fast fertig bemalt war, nur der Hintergrund fehlte noch.
    Kurt Reiser stieß einen Pfiff aus, der wohl Bewunderung und Anerkennung ausdrücken sollte, denn gleich darauf sagte er im Brustton tiefster Überzeugung: »Einfach wunderschön, Johannes. Wie du das immer hinkriegst! Kein Wunder, dass sie jetzt ausschließlich dich die Emaillemalereien machen lassen.«
    Seit einiger Zeit produzierte die Firma Armbruster verstärkt Gegenstände, die mit feiner Emaillearbeit geschmückt waren, Schmuckkassetten, Pillendöschen, Puderdosen und Zigarettenetuis. Diese Dinge gingen gut, waren Zeichen einer neuen Zeit, wie Herr Wackernagel einmal seufzend bemerkt hatte und keinen Zweifel daran ließ, wie verwirrend er diese Zeit fand, in der Frauen mit kurz geschnittenen Haaren in Röcken – die sogar die Beine oberhalb des Knies zeigten! – in aller Öffentlichkeit rauchten und sich die Nase puderten. Vor Kurzem wäre so etwas noch undenkbar gewesen, und dass die Dosen und Etuis der Firma Armbruster jetzt guten Absatz fanden, machte die Sache für Herrn Wackernagel nur unwesentlich besser.
    Von Anfang an hatte man Johannes für die Emaillemalerei vorgesehen und es war eine gute Wahl gewesen. Schier unerschöpflich schienen seine Ideen zu sein, immer wieder neue Motive ersann er und malte sie in leuchtenden Farben in nie ermüdender Geduld und Hingabe auf die kleinen Kunstwerke. Diese Kassette aber war sein Meisterwerk!
    »Was ist das eigentlich für ein junger Mann da?«, erkundigte sich Kurt und zeigte auf den Deckel der Kassette. Johannes erzählte ihm geduldig und in aller gebotenen Kürze die Geschichte des Taugenichts. »Und jetzt werde ich noch Italien malen«, fügte er mit breitem Grinsen hinzu, »obwohl ich da noch nie gewesen bin. Aber so stell ich es mir vor.« Mit dem feinen Pinsel tupfte er winzige Blätter an einen Baum, der seine Äste über einen tiefblauen See streckte.
    »Na, sie wird sich freuen«, Kurt tippte zum Abschied an seine Mütze, »wann darf man denn gratulieren?«
    Über Johannes’ Gesicht zog eine feine Röte. »An ihrem Geburtstag will ich sie fragen. Der fällt dieses Jahr nämlich auf einen Sonntag, das sehe ich als gutes Omen und letzte Woche hat man mir eine Lohnerhöhung versprochen, weil man zufrieden ist mit meiner Malerei.«
    Kurt nickte. »Ich freue mich für dich. Sie kriegt einen guten Mann.« Es klang etwas melancholisch und Johannes wusste, warum. Er sah dem Kollegen nach, wie er hinkend durch den Saal ging und sich an der Tür noch einmal umdrehte und Johannes zuwinkte. Sein kürzeres linkes Bein hatte ihm zwar die Teilnahme am Krieg erspart, aber ob er damit jemals ein Mädchen finden und eine Familie gründen konnte?
    Johannes machte sich wieder an die Arbeit, versah die Gipfel der hohen Berge, die er am rechten Rand emporragen ließ, mit einer weißen Mütze.
    Was sie wohl sagen würde? Er machte sich Sorgen um sie, Marie schien ihm in letzter Zeit merkwürdig verändert! Ernst, bedrückt kam sie ihm vor, seltsam abwesend, als sei sie mit den Gedanken ganz woanders. Auch seine Liebkosungen ließ sie teilnahmslos über sich ergehen, und manchmal entzog sie sich ihm auch schnell, als könne sie seine Zärtlichkeit nicht ertragen.
    Erst hatte er gedacht, dass ihre Mutter dahinterstecke. Diese Mutter, die ihn so sehr an Friedrichs Großmutter erinnerte; herrschsüchtig, geizig und dünkelhaft, wie sie war, hatte sie keinen Hehl daraus gemacht, dass sie sich für ihre Tochter etwas Besseres vorgestellt hatte als einen, der aus der Grunbacher Stadtmühle kam und von dem man nicht wusste, wer sein Vater war. Nein, dafür hatte sie ihre Tochter nicht aufgezogen und den Schrank in ihrem Zimmer mit Wäsche und Bettzeug gefüllt, eine gute Aussteuer sollte sie bekommen, die einzige

Weitere Kostenlose Bücher