Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
Vom Netzwerk:
waren. Wie immer, wenn er daran dachte, überkam ihn eine heillose Wut, die ihn durchströmte wie eine Fieberwelle. Die Genossen hatten recht, es musste sich etwas ändern. Vielleicht war jetzt tatsächlich der Zeitpunkt gekommen, jetzt, wo den Leuten das Geld unter den Händen wegschmolz. Und die anderen machten mobil, das wusste man.
    Der Genosse Schwerdtfeger hatte auf der letzten Versammlung erzählt, in einem Ort auf der Hochfläche, im oberen Wald, seien Waffen und Munition versteckt. Man wusste schon seit einiger Zeit, dass dort eine Freikorpsgruppe gegründet worden war, die zur Organisation Consul gehörte. Sie versteckten sogar einen Mörder, einen ehemaligen Offizier, der an der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht beteiligt gewesen sein sollte. Sicher wusste man es zwar nicht. Aber einige hatten berichtet, dass er damals vor zwei Jahren zu der Gruppe von Freikorpsleuten gehört hatte, die den Minister Erzberger am Schliffkopf erschossen hatten; in den Wirtshäusern brüstete er sich sogar damit. So ein Gesindel machte sich hier breit! Und die Regierung tat nichts dagegen, sah einfach tatenlos zu. »Wann wird der erste Genosse hier Opfer dieser Faschistenbrut?«, hatte bei der letzten Versammlung der Oskar Maier gebrüllt und unter lautem Beifall gefordert, man müsse sich jetzt endlich selbst bewaffnen.
    Missmutig schüttelte Johannes den Kopf. Mutlos waren sie an diesem Abend auseinander gegangen. Was konnte man schon gegen diese Leute machen, hinter denen einflussreiche Kreise steckten?
    Als der Zug in Hofen einfuhr, schob sich Maries Bild in seine düsteren Überlegungen hinein. Sie sah es nicht gern, dass er bei den Kommunisten »mitmachte«, wie sie es nannte. Ihre Eltern seien ganz dagegen und überhaupt, sie habe Angst. »Lass doch die Finger von der Politik, Johannes!«, hatte sie ihn ein ums andere Mal gebeten. Wie konnte er ihr aber klar machen, dass ihm das wie Verrat vorgekommen wäre?
    Er hatte kein Glück an diesem Abend. Frau Oberdorfer, Maries Mutter, fertigte ihn an der Tür kurz und bündig ab. Nein, Marie sei nicht zu Hause. Nein, sie wisse nicht, wohin sie gegangen sei. Es sei ja jetzt nicht mehr üblich, auf die Eltern Rücksicht zu nehmen und ihnen beispielsweise zu sagen, wohin man ginge, fügte sie noch mit spitzem Unterton hinzu. Außerdem mache er sich rar in der letzten Zeit, Abend für Abend hocke die Marie wie bestellt und nicht abgeholt da und warte auf ihn, da sei es wohl kein Wunder, wenn sie auch einmal etwas Abwechslung haben wolle! Damit schlug sie ihm die Tür vor der Nase zu.
    Johannes verharrte für einen Moment regungslos. Vielleicht war das des Rätsels Lösung! Marie fühlte sich vernachlässigt, weil er in der letzten Zeit so lange in der Firma geblieben war. Sie konnte ja nicht ahnen, warum. Und dann die Versammlungen – wahrscheinlich schmollte sie, oder schlimmer noch, sie war eifersüchtig!
    Was war er nur für ein Idiot gewesen! Erleichterung durchflutete ihn wie vorher die Wut, Erleichterung, die plötzlich alles heller machte.
    Auf einmal sah er wieder den goldenen Glanz der versinkenden Sonne, die über den Wipfeln der Tannen hing. In ein paar Tagen würde die Kassette fertig sein und dann kam der Sonntag, den er so heiß ersehnte! Friedrich hatte er auch sträflich vernachlässigt in der letzten Zeit. Aber das würde ebenfalls wieder werden!
    Wenn sich Fritz und Marie nur besser verstehen würden! Marie weigerte sich in der letzten Zeit konsequent, etwas gemeinsam mit Friedrich zu unternehmen. »Wenn der dabei ist, gehe ich nicht mit!« Wie oft hatte er diesen Satz gehört. Und auch Fritz benahm sich auffallend reserviert. Seltsam, dabei hatte er doch am Anfang insgeheim befürchtet, Friedrich könnte ihm Marie ausspannen, der charmante, gut aussehende, starke Friedrich.
    Als er das Zimmer bei der Witwe Bott betrat, stand Eugen an der Waschschüssel und wusch prustend Gesicht und Oberkörper.
    »Hast du noch etwas vor?«, fragte Johannes und warf die Aktentasche auf den Stuhl neben seinem Bett. Dann plumpste er auf die sorgsam aufgetürmten Federbetten, die der ganze Stolz der Witwe waren. Wahrscheinlich würde sie jetzt missbilligend den Kopf mit dem straff aufgesteckten Knoten schütteln, wenn sie gesehen hätte, wie ihr Untermieter in Straßenkleidern auf den liebevoll gehüteten Betten lag.
    »Mit Hilde im Grunbachtal eine Wohnung anschauen«, presste Eugen hinter dem Handtuch hervor, mit dem er sich gerade das Gesicht abtrocknete. »Ende

Weitere Kostenlose Bücher