Beerensommer
stand er da, sehr elegant und sehr gut aussehend. Aber die Lippen waren fest zusammengepresst, nicht einmal der Anschein eines Lächelns lag auf ihnen und auch bei Lisbeth meinte man, trotz des Triumphes in ihren Augen, diesen verdrossenen Zug um die Mundwinkel zu erkennen, der wohl typisch für sie gewesen ist. Nein, richtig glücklich hat dieses Paar nicht ausgesehen! Gretl hat das nur bestätigt.
»Dass er mit der Lisbeth nicht viel anfangen konnte, wusste jeder im Dorf. Und seine Frauengeschichten waren bekannt. Dass da etwas mit Marie war, hat man getratscht. Es war ja auch auffällig, dass die Freundschaft zwischen ihm und Johannes so plötzlich vorbei war. Ich hab zu der Zeit schon alles gewusst, Emma hatte es mir erzählt. Das schlechte Gewissen hat sie geplagt. Ich bin damals sehr traurig gewesen. Wie Emma auf die Marie, so habe ich zu der Zeit einen Hass auf die Lisbeth Dederer gehabt. Sie hat ihn uns weggenommen, hab ich immer gedacht. Hätte er die Marie geheiratet, wäre er weiterhin ein Teil von uns gewesen. Es war ungerecht, ich weiß es. Und was das alles für Johannes bedeutet haben muss ... Aber ich bin noch ein Kind gewesen zu der Zeit. Arme Lisbeth, auch wenn sie damals triumphiert hat, dass sie ihn gekriegt hat – sie war doch ein so armer Mensch. Viel Freude hat sie nicht gehabt mit ihrem Friedrich.«
Dann hat Gretl noch etwas Geheimnisvolles erzählt: Diese Ehe sei von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen, da die Vorzeichen damals schon eindeutig schlecht gestanden hätten.
Gretl und ihr komischer Aberglaube! Kein Wunder, wenn man den Kindern im Schwarzwald früher Angst machte mit dem »Nachtkrab«, dem »Pelzmärte«, dem »Zuberklos«! Die Wälder waren in der Vorstellung der Kinder mit Geistern und Hexen bevölkert und jeden Moment konnte hinter einem Baum der mächtige »Holländer-Michl« hervorkommen. Ihre Mutter hat ihr davon erzählt. Auch Marie ist noch mit solchen Geschichten aufgewachsen.
Aber was Gretl dann erzählt hat, klang überzeugend und logisch und sie hat sich auch für den Wahrheitsgehalt verbürgt, denn Friedrich selbst hatte es ihr erzählt: Am Abend vor der Hochzeit sei er nach Feierabend noch in das Sägewerk gegangen, um mit den Arbeitern anzustoßen. Er hatte eine Flasche Obstwasser unter den Arm geklemmt und ist gerade die Außentreppe zum Sägewerk hochgestiegen, als er plötzlich unten einen Schatten an der Tür zum Sägemehlraum sah. Es war schon früh dunkel geworden an diesem Abend, denn tiefe Regenwolken hingen über dem Enztal und verdeckten die Sonne.
»Im gleichen Moment knallten zwei Schüsse und dann sind auch schon die Arbeiter von oben gerannt gekommen«, erzählt Gretl weiter. »Von unten hat man einen Fluch gehört und dann war der Schatten hinter dem Polderplatz verschwunden. Ein paar von den Arbeitern haben die Verfolgung aufgenommen, aber ohne Erfolg. Später fand man dann zwei Kugeln, die im Holzgeländer steckten.«
Es sei äußerst knapp gewesen damals, ein paar Zentimeter weiter oben und die Kugeln hätten Friedrich getroffen. Der Unbekannte sei einerseits durch die frühe Dunkelheit geschützt gewesen, andererseits ist ihm dadurch das genaue Zielen erschwert worden. Dass der Schütze Übele gewesen ist, daran habe für Friedrich kein Zweifel bestanden.
»Und warum hat er ihn nicht angezeigt?«, hat Anna gefragt.
»Man hätte ihm doch nichts nachweisen können. Richtig gesehen hat ihn keiner. Im Dorf hat man viel gemunkelt. Im oberen Wald, bei den Bauern auf der Hochebene, sind seinerzeit viele Freikorpsoffiziere untergekrochen, vor allem solche, die Dreck am Stecken hatten. Einige sollen auch an politischen Morden beteiligt gewesen sein. Es waren unruhige Zeiten damals. Während der Inflation hat man jederzeit mit einem Umsturz gerechnet. Übele soll auch bei einem Bauern dort oben untergekommen sein, erzählten sich die Leute; er hatte doch kein ordentliches Zeugnis und jeder in der Gegend wusste, dass ihn der Dederer wegen Unterschlagung hinausgeworfen hatte. Jedenfalls hatte der Übele mit den Freikorpsleuten zu tun und half ihnen wohl auch, ein Waffenlager für eine verbotene Organisation anzulegen. Johannes hat mir das später erklärt.«
Anna hat sich ganz schön erschrocken, als Gretl ihr das heute Morgen erzählt hat. Was für eine verrückte Zeit das damals gewesen ist!
Den Übele habe aber doch noch eine Art ausgleichende Gerechtigkeit ereilt. Gretl hat das Ende dieser Schauergeschichte fast genüsslich
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