Beerensommer
in Grunbach kursierten, auch nach Hofen gedrungen. Marie hatte zwar nie darüber gesprochen, aber Johannes war sich sicher, dass ihre Mutter sie einige Male eindringlich befragt hatte!
Es hatte manchen Spott darüber gegeben, dass die Braut vom Helmbrecht »einen Braten in der Röhre« habe und dass man ihm wohl ein Kuckucksei ins Nest lege. Aber er hatte nie darauf reagiert und war seltsam unbeteiligt dabei geblieben, sodass die derben Späße mit der Zeit aufhörten. Und Frau Oberdorfer, die ein gewisses Misstrauen gegenüber ihrer Tochter hegte, war froh über jeden Schwiegersohn, der ihrer Tochter und dem Kind seinen ehrlichen Namen gab.
Er war glücklich gewesen in diesen Wochen vor der Hochzeit und auch danach, trotz Maries immer deutlicher schwellendem Leib, der ihn zunehmend an das Kind, Friedrichs Kind, denken ließ. Immer wieder hatte er in dieser Zeit das Hochzeitsfoto betrachtet und Maries Gesicht studiert. Ja, sie waren sogar zum Fotografen gegangen, diesen Moment wollte er festhalten und auch Maries Schönheit und seinen Stolz!
Er sah sicher nicht so stattlich aus wie Friedrich, der geliehene Frack war etwas zu groß und hing an den Schultern unschön herunter. Aber mit den weißen Handschuhen und der neuen Hose mit der Bügelfalte und mehr noch mit diesem selbstbewussten Blick, mit dem er in die Kamera schaute, stellte er doch etwas dar.
Das blonde Haar hatte er nass gescheitelt, trotzdem hing die ungebärdige Strähne nach vorne in die Stirn, aber das verlieh ihm etwas Verwegenes, wie Johannes fand.
Und Marie – keine Myrtenzweige steckten im Haar, das hatte die frömmlerische Mutter nicht geduldet, denn ihre Tochter war leider keine Jungfrau mehr. Mit Lenes Hilfe hatte Marie rings um den Tüllschleier einige kleine, weiße Blüten gesteckt, deren Namen Johannes nicht kannte, die aber wunderschön in ihrem braunen, glänzenden Haar aussahen. Das Brautkleid ging modisch kurz bis knapp über die Knie und die tief angesetzte Taille kaschierte geschickt das kleine Bäuchlein, das sich schon abzeichnete. Sie waren ein schönes Paar, wie Johannes fand. Auf jeden Fall war Marie zehnmal schöner als die andere, Lisbeth Dederer in Seide und Spitzen!
Wenn er aber das Bild studierte, konnte er sich auch nicht verhehlen, dass Marie merkwürdig freudlos wirkte. Starr blickte sie in die Kamera und die Andeutung eines Lächelns in ihren Mundwinkeln wirkte künstlich und aufgesetzt. Und trotzdem war er glücklich gewesen, in diesen ersten Monaten, er hatte Marie zur Frau – auch wenn am Anfang eine gewisse Fremdheit und Befangenheit zwischen ihnen war, so hatte er doch die feste Überzeugung, dass das besser werden würde! Er mühte sich ja selber redlich, die quälenden Gedanken aus dem Kopf zu bekommen – wenn er sie im Arm hielt, die bange Frage, ob sie jetzt an »ihn« dachte, wenn sie sich ihm hingab, sanft und willig, ob das bei dem »anderen« auch so gewesen war oder ob sie sich leidenschaftlicher verhalten hatte.
Nicht immer ließen sich diese Gedanken unterdrücken, dann steigerten sie sich bis zur qualvollen Raserei, sodass er sich manchmal bei der Überlegung ertappte, es müsse befreiend sein, ihr jetzt wehzutun! Dann wurde er manchmal grob, erschrak über sich selbst und mehr noch über ihr wortloses Dulden, als nehme sie das als gerechte Strafe hin. Es würde besser werden, hatte er gedacht, aber es war schlimmer geworden, als das Kind kam, vor jetzt ziemlich genau zwei Jahren.
Marie hatte sich über viele Stunden gequält, die Hebamme, eine jüngere, resolute Person, war gegen Schluss unverkennbar in Panik geraten, aber kurz bevor der Doktor, den man eilig gerufen hatte, eingetroffen war, hatte Marie mit einem letzten, schrillen Aufschrei dann endlich das Kind zur Welt gebracht, einen »ganz strammen Jungen«, wie die Hebamme gleich darauf erleichtert vermeldete. Er hatte nichts empfunden, als er das quäkende Würmchen in den Armen hielt, nur eine ungeheure Erleichterung, dass Friedrichs Kind Marie nicht das Leben gekostet hatte. Diese Erleichterung füllte ihn ganz aus, ließ für nichts anderes Raum, und erst in den Tagen danach drang in sein Bewusstsein, dass dieses schreiende Etwas jetzt da war, zäh einen eigenen Platz beanspruchte, und er sah Maries Augen voller Liebe auf diesem Kind ruhen, Friedrichs Sohn.
Vielleicht wäre es nicht so schlimm geworden, hätte er sich leichter damit abgefunden, wenn nicht im Laufe der Zeit eines immer offensichtlicher geworden wäre: Dieser Junge
Weitere Kostenlose Bücher