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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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Krebs, ein schlimmer Krebs, der sich durch die Lunge fraß, schon überall seine Krakenarme hatte! Metastasen nannten es die Ärzte, und plötzlich war es ganz schnell gegangen und der stille, kleine Mann war klaglos in seinem Krankenhausbett eingeschlafen, um nicht mehr aufzuwachen.
    Sein Erbe wurde verteilt, das Wohnhaus ging an den Sohn, der der Mutter lebenslanges Wohnrecht einräumen musste, und das Grundstück in der Gemarkung Grunbach bekam die Tochter Marie. Auch das Testament trug die Handschrift seiner Frau, der er sich sein Leben lang in allem untergeordnet hatte. Eigentlich wäre das Grundstück nicht viel wert gewesen, aber die Gemeinde Grunbach hatte vor zwei Jahren beschlossen, die so genannten Leimenäcker am Fuße des Eibergs zur Bebauung freizugeben! Die Ortsverwaltung hatte selbst den Anfang gemacht. Zwei lange Reihen Wand an Wand gebauter, schmaler Häuschen zogen sich am unteren Rand der Leimenäcker hin. Weiter oberhalb hatte sich, wie wildes Unkraut, ein seltsamer neuer, kleiner Lebensraumgebildet. Ausrangierte Eisenbahnwaggons standen um einen provisorisch ausgehobenen Brunnen herum, der einige Rinnsale fasste, die vom Berg herabrieselten. Etliche arme Familien hatten sich dort ein kärgliches Heim geschaffen. Wohnraum war knapp, nach der Inflation gab es mehr arme Leute als zuvor und die Stadtmühle hatte man ganz aufgeben müssen, da sie baufällig geworden war. So lebten die Allerärmsten in den Waggons, zwischen aufgespannten Wäscheleinen und allerlei Krempel, den man für eine spätere Verwertung herbeigeschleppt hatte – ein buntes und wunderliches Bild, das sich dem Betrachter bot.
    Glücklicher konnten sich die schätzen, die ein Zimmer oder gar eine kleine Wohnung in einem der Gemeindehäuser bekommen hatten, so wie Johannes und Marie Helmbrecht, die mit ihren zwei Kindern sogar ein ganzes Reihenhäuschen bezogen hatten, gerade einen Steinwurf entfernt von dem Grundstück, das sie später erben sollten. Eine Küche und ein weiterer Raum, den man kaum als Wohnzimmer bezeichnen konnte, so dürftig, wie er eingerichtet war, befanden sich im Erdgeschoss, oben waren das Schlafzimmer und eine Kammer für die Kinder. Johannes hatte nach der Hochzeit gemeint, sie sollten sich vom Ersparten ein gutes, solides Schlafzimmer anschaffen, das brauche man jeden Tag, und so hatte Marie ihre Träume von einem Nussbaumbuffet und einem weichen Kanapee mit gestickten Sofakissen aufgeben müssen. Ein Tisch mit vier wackligen Stühlen stand jetzt im so genannten Wohnzimmer und eine alte Vitrine von Maries Großmutter, auf der die Einmachgläser Platz gefunden hatten. Schließlich konnte man in der Küche sitzen, da war es ohnehin wärmer und gemütlicher, und darin stand Maries ganzer Stolz, ein neuer weißer Holzherd mit einem großen Wasserschiff, sodass man immer heißes Wasser hatte. Auch das Schlafzimmer war ordentlich und solide eingerichtet und Marie träumte davon, eines Tages mit schönen Paradekissen und einer Steppdecke den Raum noch zusätzlich aufputzen zu können.
    Eines Tages – wenn die Kinder größer waren und sie vielleicht wieder arbeiten konnte. Die Kinder, der zweijährige Georg und die knapp ein halbes Jahr alte Anna, teilten sich die kleine Kammer, die nach hinten hinausging und auf das handtuchschmale Stückchen Garten blickte, in dem sie Salat und Kartoffeln anbauten.
    Es ist wenig genug, was wir haben, dachte Johannes, als er auf dem höchsten Punkt des Grundstücks stand, wenig genug, aber recht ordentlich für einen, der aus der Stadtmühle kommt.
    Es hatte ja damals auch für eine kleine Hochzeitsfeier gereicht, die war zwar bescheiden gewesen, aber es gab Kaffee und Kuchen in der guten Stube der Oberdorfers und am Abend sogar Bratwürste mit Kartoffelsalat und der Brautvater hatte ein paar Flaschen Wein spendiert. Die Gästeliste war überschaubar gewesen: Maries alte Tante, auf deren kümmerliches Erbe man hoffte, und ihr Bruder mit seiner Verlobten, einem stillen Mädchen, der Frau Oberdorfer immer wieder deutlich zu verstehen gab, dass sie für ihren einzigen Sohn nicht gut genug sei. Lene und Gretl waren auch dabei gewesen, auf ihrer Einladung hatte Johannes bestanden, obwohl seine Schwiegermutter mit spitzem Mund gemeint hatte, »solche« gehörten nicht an ihren Tisch. Aber Johannes hatte nicht nachgegeben und sie hatte schließlich eingelenkt.
    Ihr Verhalten gegenüber Johannes war kurz vor der Hochzeit freundlicher geworden, es schien, als seien die Gerüchte, die

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