Beerensommer
den Fluch, den der alte, kranke Mann ihm angedroht hatte – aber es hatte ihm nichts genützt. Ihm, Friedrich, war es egal, dass er mit diesem Testament genau genommen nur Lisbeths Angestellter war. Die Wirklichkeit sah anders aus: Sie unterwarf sich in allem seinem Willen, hatte jetzt das Kind und ging ganz in ihrer Mutterrolle auf. Im Sägewerk und im Wald wurde er von allen als Chef, als unumschränkter Gebieter angesehen. Und warum sollte er sich von Lisbeth scheiden lassen?
Er liebte sie nicht, hatte sie nie geliebt und er hat ihr auch nie etwas vorgemacht. Es war ein Geschäft gewesen, sie hatte ihn bekommen, er hatte das Sägewerk bekommen. Und jetzt war noch das Kind da und sie schien ganz zufrieden zu sein. Sie schien auch zufrieden mit den immer seltener werdenden Umarmungen und den kargen Zärtlichkeiten zu sein, und sie hatte auch nichts einzuwenden gegen seine Fahrten nach Baden-Baden mit dem neuen Auto, einem Mercedes, den er sich gleich im ersten Jahr seiner Ehe zugelegt hatte. Vielleicht ahnte sie sogar, was er dort suchte, roch das Parfum, teures Parfum, wenn er spätabends heimkam und sich wortlos neben sie legte. Sie tat, als ob sie schliefe, aber er hatte den Verdacht, dass sie meistens wach lag, bis er kam. Egal, sie redeten nie darüber, sie war glücklich mit dem Kind und das Sägewerk florierte wie nie zuvor. Über zwanzig Leute beschäftigte er jetzt, natürlich noch lange nicht so viel wie der Zinser, aber er war auf einem guten Weg.
»Alles, was der Weckerlin anfasst, wird zu Gold«, raunten sich die Leute im Dorf zu und auch die, die anfangs gegiftet hatten, der Weckerlin habe sich doch nur in ein gemachtes Nest gesetzt, zollten ihm jetzt Respekt.
»Unternehmerischer Weitblick und kaufmännisches Geschick, und das in so jungen Jahren«, hatte der Zinser bei einer Zusammenkunft der Unternehmer des oberen Enztals im Kursaal in Wildbad anerkennend gesagt. Was kümmerten ihn da noch die paar Neider, die schlecht über ihn sprachen? Er leugnete doch nicht, dass er in der Stadtmühle gewohnt hatte, er stand offen dazu. Hatte er nicht auch die Gretl Haag und ihre Mutter bei sich als Dienstmädchen eingestellt? Sicher, die Lene hatte einen schlechten Ruf. Aber man musste den Leuten eine Chance geben. Er hatte es geschafft, im Unterschied zu vielen anderen, also wollte er auch großzügig sein. Er konnte es sich leisten. Und dieses Geschwätz, er treibe Raubbau am Wald, ihm sei nichts heilig, war nichts als Neid. Die Mischwälder oben am Eiberg, vor allem in der Gemarkung Katzenbuckel, hatte er abholzen lassen. Er war ins Geschäft gekommen mit der Reichsbahn, wie er es damals dem Alten vorgeschlagen hatte, und er hatte rasch nachwachsende Fichten angepflanzt – Grubenholz für die Bergwerke stand als Nächstes an. Die Auftragsbücher waren voll in diesem Jahr 1929, es war Geld im Land, viel Geld aus Amerika, die Inflation hatte man im Griff, die Wirtschaft florierte, es ging aufwärts mit Deutschland und auch mit ihm, Friedrich Weckerlin!
Eines Tages würde er den Zinser überholen. »Unternehmerischer Weitblick«, hatte der gesagt. Friedrich lächelte. Er ging hinüber zur großen Anrichte. Gretl hatte Sekt in den Kühler gestellt, die Kristallkelche blinkten, daneben standen die Silbertabletts mit den belegten Brötchen. Lene konnte das gut, das musste man ihr lassen. Er schenkte sich ein Glas Sekt ein und leerte es in einem Zug. Nachher kamen Gäste, die ersten Familien von Grunbach waren zu Gast bei ihm, Friedrich Weckerlin. Der Tournier mit seiner Frau, Zigarrenfabrikant Kübler, der Bürgermeister und natürlich der Zinser mit Gemahlin, dieser überkandidelten Kuh. Er wurde alt, der Zinser, alt und sentimental. Zog immer noch jedes Jahr zum Geburtstag des Kaisers die Reichsfahne in seinem Garten auf, man stelle sich das mal vor.
Ihm, Friedrich, war die Politik egal. Nur die Kommunisten durften nicht an die Macht kommen! Ansonsten kümmerte er sich nicht darum, Hauptsache, die Herren Politiker machten ihre Arbeit und mischten sich nicht in die Wirtschaft ein. Auch die Sozis waren in dieser Hinsicht ganz anständig. Was sollte also das Gewäsch vom alten Zinser, diesem Narren, über den »Verrat am Vaterland« und die »Schande von Versailles«, unter der Deutschland immer noch ächze? Seine Zeit war so gut wie abgelaufen! Und Friedrich Weckerlin hatte schon das nächste Projekt im Kopf. Die Grunbacher würden Maul und Augen aufreißen! Heute Morgen war der erste Entwurf vom Architekten
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