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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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Sie lagern bei Gretl im Keller. Antiquitäten sind allerdings keine darunter. In der Küche haben wir ein paar Sachen dagelassen, der Platz bei Gretl reicht einfach nicht.«
    Der altertümliche Fernsehapparat, der noch in einer Ecke der Küche steht, ist fast schon eine Rarität. Johannes habe jeden Abend davorgesessen und Nachrichten geguckt. Gegen Ende, als er ziemlich schwerhörig war, habe er den Apparat so laut gestellt, dass die ganze Nachbarschaft das Neueste aus aller Welt frei Haus geliefert bekam.
    »Was haben wir auf ihn eingeredet, sich ein Hörgerät anzuschaffen, aber er war stur wie ein Maulesel.« Richard schien ganz in die Erinnerungen versunken zu sein. »Bis zuletzt hat er eine unbändige Neugierde gehabt, auf alles, was in der Welt passiert. Dort am Tisch«, Richard hat auf ein hässliches Monstrum mit Metallbeinen und einer seltsam grünlich gesprenkelten Tischplatte aus Plastik gedeutet, »dort hat er immer gesessen und Zeitung gelesen.«
    »Und da hat das Radio gestanden«, hat ihr Fritz gleich darauf erzählt. »So ein altes Kofferradio, das irgendwann den Geist aufgegeben hat. Er wollte es aber nicht mehr reparieren lassen oder sich gar ein neues kaufen. Das lohne nicht mehr, hat er gemeint.«
    »Früher stand da ein Volksempfänger«, hat Richard hinzugefügt. »Damals in der Nazi-Zeit hat er verbotene Sender gehört, mit einem Ohr am Lautsprecher. Deine Urgroßmutter musste regelrecht Wache halten. Tausend Ängste hat sie ausgestanden – wenn ihn jemand erwischt hätte! Frag Gretl, die kann dir das genau erzählen.«
    Oben unter der Dachschräge sind die beiden Zimmer von Georg und Anna gewesen, das eine hat dann später Marie bewohnt. Auch hier sind die Möbel weggeschafft worden, aber in einer Ecke des größeren Zimmers hängt noch ein vergilbtes »Bravo«-Poster. Pierre Brice als Winnetou! Anna hat unwillkürlich lachen müssen. Davon hat mir Mama gar nichts erzählt – dass sie für den geschwärmt hat.
    Gleich darauf ist ihr fast elend vor lauter Kummer geworden. Da hat Marie gelebt, ihre Mama – Blümchentapeten und ausgetretene Dielen, weiße Flecken an den Wänden, da sind noch mehr Bilder gewesen – was hatte sie da bloß hängen? Nicht einmal hier ist etwas von ihr geblieben, alles löschte die Zeit aus, bloß Pierre Brice als Winnetou, der ist noch da!
    »Die Möbel sind unten, auch noch etwas Geschirr, ein paar Bilder, was halt noch da war. Kannst gerne alles ansehen«, sagt Gretl auf einmal in ihre Gedanken hinein. »Du musst sowieso entscheiden, was damit geschehen soll. Kostbarkeiten sind’s allerdings nicht!«
    Das kann sie sich denken und sie kann jetzt die Abneigung ihrer Mutter verstehen. Alles wirkt ärmlich, abgewohnt und – irgendwie spießig. Und mittendrin war die Kassette mit dem »Taugenichts«, mittendrin die Träume und die Hoffnungen und die Sehnsucht. Wie hat er das bloß ausgehalten, Johannes, der Ästhet, der Künstler? Und Marie, die alte Marie, und Anna, die Großmutter?
    Aber vielleicht ist es gar nicht so schlimm gewesen ..., denkt Anna. Ich sehe das alles ja nur mit meinen Augen. Vielleicht ist es gar nicht schlimm gewesen für einen, der aus der Stadtmühle kam. Vielleicht, wenn man sich das Haus mit den Menschen darin vorstellte, ihrem Reden, Rufen, Lachen. Nicht nur der Mief nach Armut, der Gestank vom Plumpsklo gleich links neben dem Eingang; es gab doch auch andere Gerüche. Der Duft nach Essen oder den Kräutern, die ihre Urgroßmutter oben auf dem Dachboden getrocknet hat. Fritz hat sie ihr gezeigt, ganze Büschel dürres Johanniskraut hängen an den Dachbalken und verbreiten immer noch einen leichten Geruch, der wie eine ferne Erinnerung im ganzen Haus wahrzunehmen ist.
    Sie hat Marie einmal gefragt, in einem der seltenen Momente, in denen sie Fragen nach der Vergangenheit zugelassen hat – sie ist schon nahe am Tod gewesen –, ob es nichts Schönes gegeben habe, dort in dem Häuschen im Schwarzwald.
    »Doch, natürlich«, hat sie spontan gesagt und das schmale ausgezehrte Gesicht hat für einen Moment unter ihrem Lächeln richtig geleuchtet. »Als Kind habe ich gegen Abend immer am Küchenfenster gesessen. Die Großmutter hat das Abendessen gekocht, es gab abends immer warmes Essen, weil der Großvater in der Mittagspause nur sein Vesper gehabt hat. In der kälteren Jahreszeit, im Herbst und im Winter sind dann die Fensterscheiben beschlagen gewesen und ich habe mit meinen kleinen Fingern allerhand Zeug daraufgemalt. Bis dann Großvater

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