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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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gedacht, wo alles neu und zusammengekauft war. Das Bemerkenswerteste würde der große Schuhschrank sein, den der Architekt nach seinen speziellen Wünschen hatte einbauen lassen.
    Er war nicht glücklich gewesen, als ihm Emma kurz vor Weihnachten 1930 verkündet hatte, dass sie sich verloben wolle. »In diesem Jahr noch, hörst du, Fritz!« Das war typisch Emma gewesen – spontane Beschlüsse, die sie mit dem ihr eigenen Dickkopf durchsetzte. »Oder hast du etwas gegen ihn, weil er aus einer jüdischen Familie stammt?«
    Nein, das hatte er sicher nicht gehabt, er hatte doch bis dahin gar keine Juden gekannt. In Grunbach gab es keine, früher waren Viehjuden in den Ort gekommen und die Bemerkung »Handeln wie ein Jud« war ihm geläufig, ohne dass er darüber nachgedacht hatte. Und wenn Mutter besorgt war, dann nur wegen der Frage, wo denn die Trauung stattfinden solle und ob sie evangelisch oder jüdisch heiraten würden. »Was ist, wenn sie zum Judentum übertritt, Fritz? Wir kennen uns doch überhaupt nicht aus. Und die Kinder, was sollen denn meine Enkelkinder für einen Glauben haben?«
    Das ließe sich alles regeln, hatte er damals gemeint. Aber er sei dagegen, dass Emma schon so früh heirate, solch ein Kindskopf, wie sie noch war.
    Ob sie bisher nicht immer genau gewusst habe, was sie wolle, hatte Emma gekontert, und das stimmte, denn die höhere Handelsschule hatte sie hingeworfen – »zu viel Theorie, Fritz. Ich will praktisch arbeiten. Habe schließlich Handwerkerblut, Köchin will ich werden!«
    Handwerkerblut, Köchin, er war ganz außer sich gewesen, es hatte Szenen gegeben, böse Szenen, Geschrei und Geheule und dazwischen stand Mutter, ganz blass und still, und schließlich hatte er nachgegeben. Emma hatte nicht nur Handwerkerblut in den Adern, sie hatte schließlich auch den Weckerlin’schen Dickkopf geerbt. Mehr noch als Emmas Sturheit war es aber ein Satz von Mutter gewesen, der ihn zum Einlenken gebracht hatte: »Aber Fritz, vergisst du denn ganz, wo wir herkommen?«
    Er hatte telefoniert, ein paar Beziehungen spielen lassen und so hatte Emma eine Lehre im Badhotel in Wildbad angefangen und dort dann auch Siegfried Löwenstein kennen gelernt, der im Hotel seine Eltern besucht hatte, die dort wie jedes Jahr zur Kur weilten. Als ihm der junge, hoch gewachsene Mann zum ersten Mal vorgestellt wurde, war er Friedrich auf Anhieb sympathisch gewesen.
    »So ein feiner, gut erzogener Mann«, hatte Mutter geflüstert und auch die Löwensteins hatten die zukünftige Schwiegertochter ins Herz geschlossen. Die Hochzeit fand in Stuttgart statt, nur standesamtlich natürlich, denn, wie Emma betonte, Siegfried und ihr sei das mit der Religion egal. Sie war eine schöne und elegante Braut gewesen mit ihrem Schleierhütchen und dem beigefarbenen Kostüm aus Wildseide. Sogar Lisbeth hatte an diesem Tag richtig vornehm ausgesehen, er hatte ihr einen neuen Mantel mit Blaufuchskragen gekauft, und Louis-Friedrich im Matrosenanzug, blass und scheu, hatte Blumen gestreut. Emma hatte sogar Gretl und Lene eingeladen, was ihm eigentlich gar nicht recht gewesen war. Die vornehmen Löwensteins – und sie brachten Dienstboten als Gäste mit.
    Genau neun Monate nach der Hochzeit war eine Tochter gekommen, die zu Frau Löwensteins Kummer evangelisch getauft wurde. Emma hatte zur Taufe geladen und Mutter hatte den Brief sinken lassen und ganz entgeistert gerufen: »Was ist denn das für ein komischer Name, in unserer Familie, in ganz Grunbach heißt so keiner!«
    Aber Friedrich hatte gleich gewusst, woher der Name kam, den die Kleine tragen sollte. »Musste dieser Name sein? Ausgerechnet dieser Name?«, hatte er leise Emma gefragt, als sie nach dem Kirchgang und einem sehr üppigen Essen für einen Moment allein waren.
    »Ja, es musste sein«, hatte sie zurückgeflüstert. »Mein Lebtag vergesse ich Johannes und seine Geschichten nicht. Ich wünsche mir nichts so sehr, als dass ihr wieder zusammenfindet. Du hast ihm doch eigentlich geholfen bei der Sprengstoffgeschichte. Gretl hat mir alles erzählt. Allerdings, das mit dem Jungen ...« Sie hatte den Satz nicht beendet, aber er hatte genau gewusst, was sie meinte.
     
    Seine Gedanken schweiften wieder ab, kehrten zurück in die Gegenwart, er sah die schwitzenden Männer in ihren Uniformen plötzlich strammstehen. Seltsam, wie ähnlich sich viele sahen, mit ihren schwarzen Oberlippenbärtchen. Die Hände schnellten vor zum Hitlergruß, Marschmusik ertönte, das Summen und

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