Beerensommer
Flecken auf den runzligen Wangen. »Was war das für eine Zeit! Ein paarmal stand’s Spitz auf Knopf, dass das Haus zwangsversteigert werden musste. Viele Grunbacher haben damals Haus und Hof verloren. Wenn zu der Zeit nicht Maries Mutter, die Luise Oberdorfer, gestorben wäre und sie ihre Sparbücher nicht geerbt hätten, wer weiß, wie’s ausgegangen wäre.«
»Johannes hat einmal zu mir gesagt, das sei das einzig Gute gewesen, was seine Schwiegermutter für ihn getan hätte«, ergänzt Richard lachend. »Jedenfalls, in Grunbach passierte dasselbe wie überall in Deutschland. Die Menschen hatten keine Arbeit und die Grunbacher wählten verstärkt diese neue Partei, die NSDAP, die allen Arbeit und Brot versprach. Und jetzt beginnt das düsterste Kapitel in der Familiengeschichte der Weckerlins wie auch in der der Caspars. Mein Vater, von dem bisher noch nicht die Rede war, wird überzeugter Nazi und auch Friedrich verstrickt sich tief in den Nationalsozialismus.«
»Er war aber kein Nazi«, wendet Gretl ein, als wolle sie »ihren« Friedrich verteidigen.
»Das nicht.« Richard ist jetzt sehr ernst geworden. »Er hat die meisten sogar verachtet. Trotzdem – er hat mitgemacht, Geld gespendet, hat mit den Wölfen geheult. Und bis zum heutigen Tag begreife ich nicht so recht, warum!«
40
Friedrich beugte sich nach vorne, um einen besseren Blick auf das Rednerpult zu haben. Diese Wirtshausstühle waren unbequem und dazu noch diese Luft, bier- und rauchgeschwängert, zum Schneiden dick! Fast ärgerte er sich, dass er sich zu dieser Fahrt hat überreden lassen. Was wollte er hier in München, im Bürgerbräukeller, zwischen all diesen schreienden, schwitzenden Menschen, nur um diesem Mann zuzuhören, dem »Gefreiten«, wie ihn der alte Zinser abfällig nannte. Immerhin füllte er die Säle, legte stetig an Wählerstimmen zu.
»Deutschlands Zukunft« hatte ihn Hobelsberger genannt, dieser stiernackige Tuchfabrikant aus Niederbayern, den er letzte Woche im Kasino in Baden-Baden getroffen hatte. Man kannte sich, seit Jahren schon, denn Hobelsberger fuhr immer wieder zur Erholung nach Baden-Baden, so nannte er es jedenfalls, und die Erholung hing ihm stets am Arm, wenn Friedrich ihn dort traf: dralle Blondinen, die mit der Zeit immer jünger wurden. Im Krieg hatte er die bayerische Armee mit Stoff für Uniformen beliefert und sich dabei eine goldene Nase verdient, wie er offen zugab. Jetzt jammerte er wie die meisten über die schlechten Zeiten, fast die Hälfte seiner Belegschaft habe er entlassen müssen und so gehe es nicht mehr weiter. Drei Jahre nach der Wirtschaftskrise und kein Ende abzusehen, im Gegenteil, es wurde schlimmer und schlimmer. »Und der Brüning mit seiner Sparpolitik, der hat uns noch mehr ins Unglück geritten, und jetzt der von Papen, der kriegt das doch auch nicht in den Griff. Nein, nein, Herr Weckerlin, da muss ein anderer her! Hab mein Lebtag die Deutschnationalen gewählt, aber die bringen nichts mehr. Der Hugenberg weiß das ganz genau und deshalb finanziert er diesen Hitler, zusammen mit einigen anderen – da sind Namen dabei, große Namen, sage ich Ihnen.« Er hatte Friedrichs Einwand, das sei eine Proletenpartei, entschieden widersprochen. »Natürlich hat der Hitler keine Kinderstube, die Helene Bechstein hat ihm den ersten Frack seines Lebens gekauft und ihm Manieren beigebracht, das ist in München ein offenes Geheimnis, und auch dass ihn die Wagner protegiert, die Schwiegertochter vom großen Richard. Doch das sind Namen, über jeden Zweifel erhaben! Seine Schlägertruppe, die SA, ist kein besonders feiner Verein, das gebe ich zu. Aber wer soll denn die Drecksarbeit machen, Herr Weckerlin?«
»Welche Drecksarbeit denn?«, hatte Friedrich gefragt und Leopold Hobelsberger aus Niederbayern hatte ihn belustig angeschaut. Für die nationale Revolution natürlich, hatte er gemeint, für die Umgestaltung Deutschlands. Ein starker Mann musste her, einer, der den Saustall ausmistete, Deutschland wieder nach vorne brachte und die Sache mit Versailles, mit dem Schandvertrag endlich bereinigte.
Worauf das alles hinausliefe, was am Schluss denn dann herauskäme, hatte Friedrich ihm entgegnet und den Rauch seiner Zigarre tief inhaliert. Es war eine Montecristo, sauteuer, aber gut. Und dann hatte er angelegentlich die Spitzen seiner glänzenden schwarzen Schuhe betrachtet. Speziell für ihn angefertigt, bei diesem Schuhmacher nicht weit von der Lichtentaler Allee. Vor dem Krieg hatten dort
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