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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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Gesichtsausdruck, als sähe sie jetzt Bilder, die nur ihr zugänglich sind.
    »Das ist das Schlimmste am Alter: dass man nicht mehr so kann, wie man möchte. Aber was schwatze ich da die ganze Zeit. Lass dich einmal anschauen.« Dabei richtet sie wieder diese flinken, durchdringenden Augen auf Anna.
    Merkwürdig, denkt Anna. Irgendwie geht mir der Blick durch und durch. Das liegt an den Augen, sie hat so junge Augen. Nicht so wässrig und gerötet wie bei den meisten Alten. Richtige grüne, scharfe Katzenaugen hat sie.
    Als ob sie ihre Gedanken lesen könnte, kichert die alte Dame plötzlich los: »Nur meine Augen, die sind noch tadellos. Lange habe ich sie gar nicht leiden können, so grün, wie sie sind. ›Katzenaugen‹ haben die anderen Kinder immer geschrien. Ich hab sie von der Mutter, auch die blonden Haare, von denen man jetzt nichts mehr sieht.« Ihre Hand fährt nach oben und befühlt die dünnen grauen Löckchen, die perfekt auf dem Kopf angeordnet sind.
    »Früher hatte ich ganz dichte Haare, dichte blonde Haare. Und du, du hast die Johannes-Augen! Richtige Johannes-Augen. Blau wie ein sonniger Frühlingstag, hat der Friedrich einmal gesagt und dabei war er doch sonst gar nicht so ... so dichterisch. Aber recht hat er gehabt. Die Augen muss der Johannes von seinem Vater haben, das hat jedenfalls die alte Ahne gemeint, weil solche niemand in der Familie hatte. Nun, von diesem Vater hat niemand etwas gewusst, auch die alte Ahne nicht, und die Anna, deine Ururgroßmutter, die hat noch auf dem Totenbett geschwiegen. Aber was schwätz ich da«, unterbricht sie sich erschrocken, als sie Annas ratlosen Blick bemerkt. »Wir Alten reden halt gern von den alten Zeiten, du musst schon entschuldigen. Bist bestimmt hungrig und durstig nach dem weiten Weg von Berlin.«
    Anna beteuert, sie habe reichlich zu Mittag gegessen und sei auch nicht direkt von Berlin gekommen, aber Gretl hört gar nicht richtig zu. »Jetzt geh in die Küche. Die ist gleich rechts neben der Wohnzimmertür. Da steht ein Tablett, das bringst du herein!«
    Gehorsam erhebt sich Anna. Sie will auf keinen Fall unhöflich erscheinen. Auch die schmale Küche ist tadellos sauber. In einer Ecke steht noch ein alter Kohleherd, wie ihn Anna einmal in einem Museum gesehen hat. Alles ist so anders hier, denkt sie, so alt. Wie aus einer anderen Welt.
    Das Tablett befindet sich auf dem Küchentisch, es ist voll bepackt mit Sprudelflaschen, zwei Gläsern, einer Thermoskanne, Tassen und einem Teller mit Keksen. Sie hat sich auf meinen Besuch richtig vorbereitet, denkt Anna und wird plötzlich ganz wehmütig.
    Warum sind wir denn nicht früher mal hierher gekommen, Mama und ich? Ihr Blick streift eine geblümte Kittelschürze, die an einem Haken neben der tickenden Küchenuhr hängt. Sie hat sich herausgeputzt, zu Ehren meines Besuchs. Sonst trägt sie bestimmt tagein, tagaus diese grässlichen Schürzen.
    Anna bringt das Tablett ins Wohnzimmer und versorgt Gretl mit einer Tasse Kaffee und sich selbst mit einem Glas Sprudel. »Ich darf nicht so viel Kaffee trinken, wegen dem Herzen.« Die alte Dame schnuppert genießerisch an der Tasse. »Aber heute mache ich eine Ausnahme. Es ist ja auch ein ganz besonderer Tag. Wie hätte sich der Johannes gefreut! So eine hübsche Urenkelin! Siehst der Marie sehr ähnlich.«
    Anna errötet wider Willen. Komplimente machen sie immer so verlegen. Außerdem verliert sie über den vielen Annas und Maries langsam den Überblick. Sie hat aber auch den leisen Vorwurf herausgehört, der in Gretls Worten liegt, und sie antwortet bedrückt: »Mama wollte immer herkommen, um den Uropa zu besuchen. Aber irgendwie hat sie es nie geschafft. Und dann ist der Uropa gestorben und sie ist krank geworden. Da hatten wir dann anderes im Kopf.«
    Gretl nickt bedächtig. »Ich weiß, ich weiß. Es tut mir leid.« Dabei lässt sie offen, ob sie Maries Tod meint oder schlicht die Tatsache, dass es zu keinem Besuch mehr gekommen ist.
    Anna verspürt den Anflug eines schlechten Gewissens. Ich hab ihr nicht einmal die halbe Wahrheit erzählt, denkt sie. Aber ich kann der alten Dame doch nicht sagen, dass Mama nicht mehr hierher wollte! »Nie mehr gehe ich dahin«, hat sie immer gemeint. »Ich kann es nicht ertragen. Der kindische Alte und seine Geschichten! Und dann die alte Klitsche mit ihrem säuerlichen Gestank nach Armut.« Anna senkt den Kopf, sie schämt sich, schämt sich für die Verachtung, die in diesen Worten gelegen hat. Eine Verachtung, die

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