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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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einmal Lene erhoben. »Besser, wir machen uns auf«, hatte sie zu ihrer Tochter gesagt. Und zu Johannes gewandt: »Ich kenne dich schon so lange und manchmal kann ich gar nicht glauben, wie sehr du dich verändert hast. Bist doch ein strammer Kommunist geworden, das behauptest du jedenfalls. Ich bin nur eine ungebildete Frau, aber so viel weiß ich, dass die Kommunisten das Eigentum ablehnen. Warum behandelst du dann deine Frau und deinen Sohn, als ob sie dein Besitz wären? Diese Frage musst du mir einmal beantworten, Johannes Helmbrecht!«
    Und dann war sie gegangen, Lene Haag mit schon leicht gekrümmtem Rücken. Das goldblonde Haar war grau geworden und ihr Gesicht etwas aufgeschwemmt, dennoch konnte man immer noch die Spuren ihrer einstigen Schönheit erkennen.
    Und sie hatte recht gehabt!
    Johannes packte den Henkel des Eimers, den er bei sich trug, so fest, dass der Holzgriff schmerzhaft in seine Handfläche drückte. Er hatte sich vorgenommen, ihre Worte zu beherzigen. Was war aus ihm geworden – ein engherziger, prügelnder Spießer! Es sollte anders werden, das hatte er sich in jener Nacht geschworen, als Marie wieder leise in das Kissen geschluchzt hatte.
    Und jetzt war es heute Vormittag wieder passiert! Georg wollte ihn provozieren, das war ihm schon lange klar. Zeigte seine Verachtung und seine Stärke, indem er ihn herausforderte. Ein junger Mensch an der Schwelle zum Erwachsenwerden, den prügelte man nicht mehr einfach so, der wehrte sich, vor allem, wenn er Friedrichs Sohn war! Und Georg kannte den einen Punkt ganz genau, an dem Johannes zu treffen war. Es hatte in der Vergangenheit immer wieder Diskussionen darüber gegeben, ob Georg zum Jungvolk durfte. Johannes hatte es strikt untersagt. Aber alle anderen gingen dahin, man sei ein Außenseiter, wenn man nicht dabei war, hatte der Junge immer wieder fast weinend erklärt. »Und der Lehrer Vöhringer gibt denen schlechtere Noten, die nicht dabei sind. Einfach so.«
    Johannes hatte es trotzdem strikt verboten: »Mein Sohn geht nicht zu dieser braunen Bagage, und damit basta!«
    Er hatte allerdings ein paarmal den Verdacht gehabt, dass Georg, gedeckt von Marie, trotzdem ab und an heimlich zu den Treffen gegangen war.
    Und nun war er heute Morgen in die Küche gekommen und hatte mit fester Stimme erklärt, er gehe ab jetzt regelmäßig zum Treffen des Fähnleins, das immer am Sonntagmorgen stattfinden würde. Johannes hatte seinen Ohren und mehr noch seinen Augen nicht getraut. Denn Georg trug die Uniform der Hitlerjugend! Er hatte sich langsam vom Küchentisch erhoben. »Wo hast du das Zeug her?«, fragte er, ohne auf Georgs Erklärung direkt zu antworten.
    »Spende«, erwiderte der prompt. »Der Herr Direktor Weckerlin hat der Grunbacher Hitlerjugend eine größere Spende gemacht, damit die, die den monatlichen Beitrag und die Uniform nicht zahlen können, trotzdem in der Lage sind, mitzumachen. Es ist eine Spende, vom Herrn Weckerlin«, hatte er noch einmal mit Nachdruck hinzugefügt. »Dich kostet das keinen Pfennig!«
    Das war zu viel für Johannes gewesen. Und wieder hatte er zugeschlagen, mitten hinein in dieses stolze, schöne, vertraute Gesicht.
    Für einen Moment blieb Johannes stehen und versuchte wieder das unruhig schlagende Herz zu beruhigen. Er hatte noch Maries Schrei im Ohr und Annas gellenden Ruf: »Warum schlägst du ihn immer? Er tut doch nur das, was alle anderen tun!«
    Blut war an seiner Hand gewesen, Georgs Blut an seiner Hand! Der Junge hatte aus der Nase geblutet, das hatte er noch gesehen, dann war er hinausgestürzt, hatte draußen den Eimer gepackt, ohne richtig zu wissen, warum.
    In die Beeren gehen, als Rechtfertigung für meine Flucht, dachte er jetzt. In die Beeren gehen, wie an allen Tagen des Sommers, aber jetzt ist es bloß ein Davonlaufen. Verdrossen sah er auf die andere Seite des Tales. Drüben auf der höchsten Stelle des Kälblings wehte die Hakenkreuzfahne, an einer allein stehenden, hoch aufragenden Fichte befestigt. Nicht einmal hier hatte man Ruhe vor dieser Brut, dachte er mürrisch. Sogar den Wald besudeln sie mit diesem Fetzen.
    Oben am Katzenbuckel angekommen, machte er aufatmend Halt, das schnelle Pochen seines Herzschlages war langsamer und regelmäßiger geworden. Er sah die wilden Ranken der Brombeeren, dazwischen blitzte es verheißungsvoll auf: schwarze, pralle Früchte, vielleicht hatte er bis zum Nachmittag den Eimer gefüllt. Zum Verkaufen würde es nicht reichen, aber Marie konnte

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