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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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blieben eisern. Friedrich, der Dickschädel, hat nicht nachgegeben. Er sei davon überzeugt, dass Hitler Deutschlands Zukunft ist, und die Ausfälle gegen die Juden seien nur Propagandagetöse, unschön zwar, aber ein rein taktisches Manöver. ›Vorübergehend‹, hat er immer gesagt. Aber als er uns jetzt wiederholt seine Hilfe angeboten hat, haben wir sie angenommen. Was sollten wir auch anderes tun?«
    »Und so etwas wie Einsicht ist bei ihm immer noch nicht vorhanden?«
    »Doch, Johannes. Aber er sagt ...« Sie schwieg und biss sich auf die Lippen.
    »Was sagt er, Emma?«
    »Er sagt, er sei schon viel zu sehr verstrickt, er könne nicht mehr zurück, sonst würde er sich und seine Familie in Gefahr bringen. Deshalb würde er seinen Einfluss nutzen, um zu helfen, wo es nur ging. ›Das bringt mehr, Emma‹, sagt er. Und dass die Nationalsozialisten doch auch Positives bewirken.«
    »Positives bewirken!« Johannes war fassungslos. »Das glaubt er wirklich noch? Nach allem, was in seiner eigenen Familie passiert ist? Und hier in Grunbach, wo viele Menschen in Angst und Schrecken leben? Er muss doch wissen, dass das braune Pack in unsere Häuser eindringt, dass wir völlig rechtlos sind. Sie kommen zu jeder Tageszeit, zerren unsere Kinder aus den Betten, reißen die Matratzen heraus und durchwühlen alles. Und wir stehen dabei und können nichts machen. Und wenn es ihnen gefällt, nehmen sie uns mit und wir sitzen drei Tage im Kreisgefängnis oder, schlimmer noch, kommen auf den Heuberg. Was das für unsere Familien bedeutet! Ich war auch schon zweimal dort, Emma. Was ich da erlebt habe ... Der Mensch ist nur ein Dreck für die!« Johannes war immer lauter geworden, er hatte sich regelrecht hineingesteigert.
    Emma stand vor ihm, blass und zitternd. Was bin ich nur für ein Trottel, dachte er reumütig. Emma ist doch selbst ein Opfer. Was Emma durchmacht, was Siegfried Löwenstein durchmacht, das kann man gar nicht vergleichen mit dem, was uns passiert. Und dennoch, er musste noch etwas loswerden, etwas, was sie beide anging und vor allem auch Friedrich. Wie dachte der darüber, das hätte er gerne gewusst! Was da geschehen war, konnte er das auch nur als Entgleisung, Randerscheinung abtun? Es betraf einen Menschen, der ihnen vertraut war, den sie lieb gewonnen hatten. Fast unbewusst stieß er den Namen hervor: »Guste!«, und er sah mit einer gewissen Befriedigung, wie Emma zusammenzuckte. »Du weißt doch, was mit Guste passiert ist?«
    Sie nickte. »Gretl und Lene haben es mir erzählt.«
    Guste Mühlbeck war 1932 aus dem »Dienst« in Stuttgart nach Grunbach zurückgekommen. Sie hatte ihre Stelle verloren. Ihr letzter Dienstherr, der Inhaber eines Damenkonfektionsgeschäfts in Feuerbach, war Bankrott gegangen und konnte sie nicht mehr bezahlen. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise waren überall schmerzhaft spürbar, viele Familien konnten sich kein Dienstmädchen mehr leisten und so war Guste nichts anderes mehr übrig geblieben, als einstweilen nach Hause zurückzukehren. Zu Hause, das hieß zwei ausrangierte Eisenbahnwaggons, in denen ihr Bruder Otto mit seiner Frau und seiner stattlichen Kinderschar mehr schlecht als recht lebte.
    Ernst, der in Stuttgart wohnte, hatte sich kategorisch geweigert, sie aufzunehmen, mit seinen drei Kindern hatte er in der schmalen Zweizimmerwohnung selbst kaum Platz. So zog also Guste mit ihren paar Habseligkeiten in die Enge der Waggons ein, den nur mühsam zurückgehaltenen Feindseligkeiten der Schwägerin ausgesetzt, und versuchte sich nützlich zu machen, indem sie den Kampf gegen die alltäglichen und kaum zu bewältigenden Widrigkeiten, den Schmutz und den Dreck aufnahm.
    Johannes sah sie noch vor sich, als sie an einem der ersten Abende nach ihrer Rückkehr zu ihnen herübergekommen war und schüchtern am Zaun stand. Sie hatte sich gar nicht getraut hereinzukommen. Er hatte sie freundlich eingeladen, sie zu besuchen, und in der Folge schaute sie immer wieder gerne herein, genoss diese kurzen Augenblicke in einem sauberen und friedlichen Heim, hätschelte Georg und Anna und vertraute ihnen an, dass sie Arbeit suche, um bald wieder auf eigenen Füßen stehen zu können. Aber das gestaltete sich schwierig, zu viele Menschen suchten Arbeit, und beim Tournier, wo sie gehofft hatte als ungelernte Arbeiterin unterzukommen, gab man ihr deutlich zu verstehen, dass auf absehbare Zeit kein Bedarf bestehe. Johannes hatte mit Gretl geredet und die holte sie ab und zu in die

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