Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
Vom Netzwerk:
schon den Mund, aber als sie sein Gesicht sah, drehte sie sich langsam um. In dem Moment tat es ihm leid. Er war so unwirsch zu ihr gewesen. Und insgeheim dachte er wieder daran, dass Marie und er sich nicht richtig verhielten. Konnte man denn dem Jungen ewig die Wahrheit vorenthalten? »Wie heißt übrigens deine Tochter?«, rief er ihr nach.
    Sie blieb stehen, drehte sich erneut um und plötzlich lag ein leises Lächeln auf ihrem Gesicht. »Ich habe sie nach der schönen gnädigen Frau aus dem ›Taugenichts‹ benannt. Sie heißt Aurelie.«

43
     
    Friedrich lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete sein Gegenüber. Hoffentlich bemerkte er dieses belustigte Lächeln nicht, das sich jedes Mal um seinen Mund stahl, wenn er Richard Caspar, den Jüngeren, ansah, der in der üblichen devoten Haltung vor ihm stand. Der Kopf, dachte er wie so oft, dieser schmale Kopf mit dem wie angeklebt wirkenden dünnen, blonden Haar – ob er den auch vermessen hat, der prügelnde, schreiende Oberlehrer Richard Caspar, dessen Sohn nun bei ihm als Buchhalter angestellt ist? Was für ein Spaß, was für ein ganz besonderer Spaß! Diesen Moment würde er nie vergessen, wie er zum ersten Mal vor ihm gestanden hatte, drüben im Kontor, vor dem Schreibtisch hatte er gestanden, genau in der gleichen unterwürfigen Haltung wie jetzt. Langsam und gemessen hatte er gesprochen, wie der Vater, aber seine Nervosität hatte er trotzdem nicht verbergen können. Immer wieder hatte er die Brille mit dem dünnen Goldrand zurückgeschoben, sie fest auf die Nasenwurzel gepresst, als wolle er sich vergewissern, dass die Gläser, sein Schutzschild, noch am richtigen Platz saßen.
    Friedrich hatte gewusst, dass er nach der Inflation sein Jurastudium in Tübingen hatte aufgeben müssen. Frau Caspar, von Hause aus recht wohlhabend, hatte ihre gesamten Ersparnisse verloren, und da die Pension einer Oberlehrerswitwe nicht allzu üppig war, hatte Richard Caspar die Universität verlassen und eine kaufmännische Lehre begonnen. In Esslingen, in der Maschinenfabrik, sei er dann angestellt gewesen, erzählten sich die Leute, aber danach, kurz nach der Weltwirtschaftskrise, war es ihm wie vielen ergangen, er war entlassen worden und musste sich in die lange Reihe der Arbeitssuchenden einreihen. Schließlich war er mit Frau und Tochter nach Grunbach zurückgekehrt. Die junge Frau Caspar stammte ebenfalls aus Grunbach und so hatten sie im Haus seiner Schwiegereltern die kleine Dachgeschosswohnung bezogen, um die Miete zu sparen.
    Auf diese Weise könnte er immer nach seiner kränkelnden Mutter sehen, hatte er im Dorf erzählt. Das war aber nur die halbe Wahrheit gewesen, alle in Grunbach wussten es. Bettelarm waren die Caspars: Die junge Frau hatte nicht viel in die Ehe mitbringen können, ihr Vater war nur ein kleiner Angestellter beim Tournier gewesen, der jetzt von einer kargen Betriebsrente lebte, und die alte Frau Caspar hatte doch auch nichts mehr. Trotzdem hielten sie zäh und starrsinnig die bürgerliche Fassade aufrecht – stets tadellos gekleidet, auch wenn die Anzüge des jungen Caspar schon speckig glänzten. Sie nahmen rege am Vereinsleben teil und die Tochter bekam sogar Klavierstunden, ausgerechnet. Wo doch alle im Dorf wussten, dass die junge Frau Caspar ihr Fleisch in der Freibank holte, die es neuerdings im Dorf gab. Dort konnten die Ärmeren Fleisch kaufen, das von notgeschlachteten Tieren stammte. Verstohlen huschte sie dann kurz vor Geschäftsschluss in den Laden, nachdem sie sich vorher hastig umgesehen hatte, ob auch niemand in der Nähe war. Diese Frau Caspar, eigentlich eine recht ansehnliche Frau, sei schon eine ganz besondere Marke, tuschelten die Leute in Grunbach. Ziemlich hochnäsig und auch verbohrt sei sie, und man müsse sich schon fragen, worauf die sich etwas einbildete.
    Kurz nachdem in Grunbach Anfang der dreißiger Jahre eine NSDAP-Ortsgruppe gegründet worden war, traten Caspar und seine Frau ein und gehörten bald zu den aktivsten Mitgliedern. Als dann im April 1933 der demokratisch gewählte Gemeinderat aufgelöst worden war, hatte sich Caspar wohl Hoffnungen auf ein Mandat gemacht. Aber die NSDAP-Kreisleitung hatte ihn übergangen und unter den sieben neuen Gemeinderäten war sein Name nicht aufgetaucht. Das war eine neuerliche Demütigung für den Sohn des ehemaligen Oberlehrers gewesen und manche im Dorf machten sich lustig darüber, dass dies eine nachträgliche Rache am prügelnden Vater gewesen war. Immerhin

Weitere Kostenlose Bücher