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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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Belastung« die Rede, von »Trunksucht und asozialem Verhalten«.
    Sie hatten in den folgenden Tagen immer wieder nach ihr gesehen. Gretl und Marie brachten ihr Essen und Johannes war nach der Arbeit immer hinübergegangen und hatte versucht, mit ihr zu reden. Otto und Frieda saßen dann bleich am Tisch. Sie waren mit der Situation völlig überfordert. Sogar die stets lärmende Kinderschar war merkwürdig still geworden. Otto hatte immer nur geflüstert: »Die Saubande, diese elende Saubande.«
    Sie hatten Georg geschickt, der immer ihr besonderer Liebling gewesen war, sie hatten ihr alles Mögliche versprochen – »Wir machen bald einen Ausflug, Guste, hinüber an den Rhein, da wolltest du doch immer schon einmal hin« –, aber nichts half, Guste blieb einfach liegen. Johannes hatte eines Abends zu Marie gesagt, dass sie so seltsam erloschen sei, gar nicht richtig hier. »Ich weiß nicht, ob sie überhaupt verstanden hat, was mit ihr passiert ist.«
    Aber sie hatte verstanden! An einem außergewöhnlich sonnigen Novembertag war sie plötzlich aufgestanden und hinausgegangen. Frieda, die gerade damit beschäftigt war, ihr Jüngstes zu füttern, hatte sich gefreut. »Nimm meine Jacke mit, es ist kühl, trotz der Sonne«, hatte sie ihr noch nachgerufen, in der Annahme, dass Guste in den Wald wollte, um spazieren zu gehen. Sie war auch nicht beunruhigt gewesen, als Guste Stunden später immer noch nicht zurück war. Wird auf den Katzenbuckel gegangen sein, hatte sie sich gesagt. Doch als die Dämmerung hereinbrach und Otto von der Arbeit heimkam, war Guste immer noch nicht da! Otto alarmierte die Männer der Siedlung und im letzten Schein des schwindenden Tageslichts schwärmten sie aus und durchkämmten den Eiberg. Sie fanden sie schnell. Sie war auf einen Baum geklettert, der direkt an dem Fahrweg stand, der hinauf zum Katzenbuckel führte. Das Seil, das sie mitgenommen hatte, war ein alter Kälberstrick, den Otto unter seinem Gerümpel aufbewahrt hatte. Sie war vom Ast gesprungen, mit der Schlinge um den Hals, und da hatte sie gehangen, den Kopf grotesk verdreht, und schaukelte sanft im Abendwind. Wie eine Puppe hing sie da, eine Marionette. Guste Mühlbeck, der man ihre Zukunft und ihr Leben genommen hatte.
    »Als wir sie abgeschnitten hatten und sie so dalag, habe ich die Guste aus der Stadtmühle vor mir gesehen. Unsere Guste. Sie hat keinem etwas getan, Emma, hat immer nur gearbeitet, ihr Leben lang. Warum, Emma? Warum? War das auch eine ›Randerscheinung‹, ›Entgleisung‹, was man mit ihr gemacht hat? So viel Verachtung für ein Menschenleben. Und es werden noch ganz andere Dinge geschehen. Was sagt denn Friedrich dazu?«
    Emma sah ihn nicht an. »Er spricht nicht darüber. Gretl hat tagelang nur geheult. Immer wieder hat sie ihm diese Fragen gestellt, doch er hat sich nur umgedreht und ist weggegangen. Aber ich werde weiterfragen, Johannes, das verspreche ich dir.«
    Johannes nickte. Es würde nicht viel nützen, dafür kannte er Friedrich zu gut. Seine Fehler hatte er nie eingestanden. Aber vielleicht schlug ihm das Gewissen um Gustes willen.
    »Ich gehe jetzt hinüber zu den Brombeeren.« Er deutete an den Rand der Straße. »Das ist nichts für dein feines Kleid.«
    Sie lächelte. »Ich muss sowieso nach Hause. Gretl wartet mit dem Essen.« Sie schüttelten sich noch einmal die Hände und er wünschte ihr Glück. Sie ging einige Schritte, aber dann blieb sie stehen und schaute ihn unverwandt an. Sie schien noch etwas sagen zu wollen, suchte wohl nach Worten, und er ahnte plötzlich, was kam. »Das mit Marie damals, diese dumme Geschichte, das tut mir so leid.«
    Johannes wehrte ab. »Lass nur, Emma. Es ist so, wie es ist.«
    »Aber der Junge«, eine feine Röte überzog ihr Gesicht, »der Junge, Johannes. Wir können doch offen darüber reden. Gretl sagt, er ist Friedrich wie aus dem Gesicht geschnitten. Ich möchte ihn so gerne einmal sehen, mit ihm sprechen! Friedrich steht manchmal am Fenster seines Schlafzimmers und starrt zu euch hinüber und zum Weg, der nach Hofen führt. Da kommen sie manchmal vorbei, der Junge und deine Tochter. Und Mutter – sie sagt immer, sie will unbedingt den Jungen sehen, bevor sie die Augen schließt. Es würde uns so viel bedeuten, Johannes.«
    »Das schlag dir nur gleich aus dem Kopf!«, unterbrach sie Johannes mit harter Stimme. »Das ist völlig unmöglich. Marie will es nicht und der Junge weiß von nichts.«
    Sie schien etwas darauf erwidern zu wollen, öffnete

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