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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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eingestellt worden, er hatte das Sägewerk in der letzten Zeit fast ausschließlich mit Zwangsarbeitern betrieben, vor allem mit Holländern, auch einige Polen und Franzosen haben dort gearbeitet – beim Tournier waren vor allem Russen beschäftigt. Aber einige ältere Arbeiter waren auch noch da und die sollte ich verständigen, damit zumindest die Maschinen gewartet wurden. ›Vielleicht nehmen die Franzosen auch die Sägen und das ganze Zeug mit‹, hat er noch gemeint und sogar gelacht, ›dann sind wir diese Sorgen los.‹
    Ich bin vor Angst fast verrückt geworden. Wo würden sie ihn hinbringen, was würde mit ihm geschehen? Immerhin hat er niemandem geschadet, im Gegenteil. Später haben wir dann einen Schutzbrief bekommen, in dem stand, dass wir unsere Zwangsarbeiter gut behandelt haben, das hat geholfen.«
    »Und was war mit den anderen Zwangsarbeitern?«, fragt Anna nach.
    »Die Russen hat man nicht so gut behandelt, aber im Großen und Ganzen ging es einigermaßen.«
    »Und was geschah mit den Nazis im Ort?«
    »Einige sind gleich verhaftet worden, andere mussten später vor Kommissionen aussagen und die meisten Männer mussten Fragebögen ausfüllen. Etliche sind dann als Arbeiter in Frankreich zwangsverpflichtet worden. Natürlich haben viele versucht sich rauszureden, sie haben gesagt, sie seien gezwungen worden in der NSDAP mitzumachen oder man hätte sie bedroht. Johannes hat sich furchtbar darüber aufgeregt. Sein alter Parteifreund Oskar Maier ist dann kommissarischer Bürgermeister geworden, weil die Franzosen nach unbelasteten Männern gesucht haben, die sie an der Verwaltung beteiligen konnten. Da hat man zunächst auf die Ortskommunisten zurückgegriffen. Der Oskar hat sich auch bemüht, einige Verantwortliche, vor allem beim Tournier, zur Rechenschaft zu ziehen. Aber die haben immer nur gesagt, sie hätten die Rüstungsgüter unter Zwang produziert und im Übrigen hätten sie im Interesse des Betriebes gehandelt. Richtig hochnäsig waren sie gegenüber dem Oskar. Und irgendwie blieb dann alles beim Alten.«
    Anna nickt. Sie hat in Johannes’ Heft davon gelesen. Sehr bitter hat das geklungen, was er da geschrieben hat. Nach dem Ersten Weltkrieg ist er der felsenfesten Überzeugung gewesen, es müsse alles anders werden, und nichts ist geschehen. Und jetzt, nach der noch größeren Katastrophe dieses Krieges, sei es dasselbe gewesen: »Man ging rasch wieder zur alten Tagesordnung über, viele Nazis und die meisten Mitläufer saßen fest im Sattel und ein Antifaschist wie mein Freund Oskar Maier, der wegen seiner Überzeugung schikaniert und gequält worden war, hatte einen zunehmend schweren Stand.«
    »Ihr hattet in der ersten Zeit sicher andere Sorgen als die Politik«, sagt Anna nachdenklich zu Gretl.
    »Das will ich meinen! Hunger, vor allem der Hunger. Bis ’47 wurde es laufend schlechter. Im Winter gingen die Kartoffeln aus, es gab nur noch Rüben. Den Menschen in der französischen Besatzungszone ging es ganz miserabel, viele Lebensmittel mussten abgeführt werden und die Zuteilungen für uns wurden immer kleiner. Und dann, in der ersten Zeit der Besatzung, hatten wir Frauen vor allem fürchterliche Angst vor den Nächten!« Gretls Stimme wird ganz dünn. »Auf einmal, es war der dritte Besatzungstag und Friedrich saß irgendwo im Gefängnis, standen Soldaten da und wollten Uhren und Schmuck. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich so dunkle Menschen gesehen, es waren vor allem Marokkaner und Algerier, die in der französischen Armee dienten. Johannes hat immer gesagt, dass der Krieg den Menschen verroht, und das stimmte. Und wie das stimmte! Diese Kerle, eigentlich waren es arme Schweine, trotz allem, haben ihren Kopf hingehalten für eine Sache, die sie wahrscheinlich gar nicht verstanden haben. Aber was sie mit den Frauen gemacht haben ... Als sie damals bei uns eingedrungen sind, habe ich ihnen rasch alles Mögliche mitgegeben – was von Lisbeths Schmuck noch da war und einige Uhren. Einer wollte sogar einen Perserteppich mitnehmen, der im Salon lag, aber der war ihm dann doch zu groß. Ich war froh, als sie endlich wieder draußen waren, das kannst du mir glauben. Oft haben sie die Leute nämlich verprügelt. Im Hinausgehen fragt mich noch einer: ›Du allein sein?‹, und da wusste ich, was die Stunde geschlagen hatte. In der letzten Nacht hatten wir wieder gellende Schreie gehört, Schreie, die aus einem allein stehenden Haus unten an der Enz zu uns heraufdrangen. Dort hat eine

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