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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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Was er denn glaube, der alte Narr! Wo sie doch selber kaum genug zu essen hätten! Und jetzt solle man es der Verwandtschaft vorne und hinten hineinstopfen. Selber schuld seien sie, mit ihrem Vornehmtun und ihrem Hochmut. Aber damit sei jetzt Schluss. Sollten selber schauen, wie sie zurechtkämen. Und denen da schade Arbeit nichts, jung und kräftig wie sie waren.
    Johannes packte Friedrich an seiner dreckverschmierten Joppe und zog ihn weg. Er führte ihn eilig hinüber zu den weiter entfernten Äckern, wo sich das Geschrei im Rufen und Lachen der dort Arbeitenden verlor.
    »Mach dir nichts draus, sie ist eben eine alte Beißzange«, flüsterte er Friedrich zu, der sich fast willenlos von ihm hatte führen lassen. »Komm, wir gehen zu Mössingers Acker. Die Frau Mössinger hat doch nur noch den Gustav. Die ist froh, wenn wir helfen. Und großzügig ist sie auch.«
    Auf Mössingers Acker halfen bereits einige Kinder, darunter auch Guste und ihr ältester Bruder. Sie ließen Johannes und Friedrich ohne ein Wort des Widerspruchs sich einreihen in die Schaffenden, die die schwere Erde in die Körbe schaufelten, diese dann schulterten und keuchend nach oben trugen. Frau Mössinger hatte beifällig genickt: »So ist’s recht. Viele Hände helfen viel. Soll auch nicht umsonst gewesen sein.« Sie selber packte oben beim Ausleeren der Körbe mit an. Seit einem Jahr war sie Witwe und musste die kleine Landwirtschaft alleine betreiben. Neben ihr mühte sich ihr einziger Sohn, ihr größter Kummer, der Mutter an die Hand zu gehen. Seinem heldenhaften Namen Gustav zum Trotz war der Junge schwachsinnig. »Das Chinesle« nannten ihn die Leute, wegen der mongolisch geschnittenen Augen. Aber er war freundlich und fröhlich, nur eine Hilfe für die Frau Mössinger war er nicht, sondern eine große Sorge, obwohl oder gerade weil sie ihn zärtlich liebte.
    An diese Episode musste Johannes denken, als er viele Wochen später in der warmen Maisonne stand und noch immer geduldig wartete, und er musste daran denken, wie die Frau Mössinger jedem einige Kartoffeln in die aufgespannten Schürzen oder Hemden geworfen hatte und als Zugabe jedem noch ein Honigbrot brachte, denn sie nannte ein emsiges Bienenvolk ihr Eigen.
    »Bist du nicht der Friedrich Weckerlin?«, hatte sie forschend gefragt, als Friedrich vor ihr stand, und sie hatte sich tief heruntergebeugt, um ihm direkt in die Augen sehen zu können. Johannes war erschrocken, denn für einen Moment hatte es so ausgesehen, als wolle Friedrich das verneinen. Aber dann hatte er unmerklich genickt, die Kartoffeln in sein Hemd gesteckt, das er an beiden Zipfeln vorsichtig festhielt und war davongerannt. Das angebotene Brot hatte er hitzig zurückgewiesen, und Frau Mössinger hatte es dann kurzerhand an Guste weitergegeben, die sofort hineinbiss und es damit als ihr Eigentum deklarierte.
    »Wird dir schon noch schmecken, mein Brot, du kleiner Hochmutsteufel«, hatte die Frau Mössinger leise geflüstert und der immer kleiner werdenden Gestalt nachgesehen, die den Abhang hinunterrannte. Johannes hatte für einen Moment überlegt, ob er nicht Friedrich hinterhersollte. Aber es war sicher besser gewesen, ihn allein zu lassen. Trotz Friedrichs Reaktion hatte Johannes sich in diesem Moment richtig glücklich gefühlt. Er hatte etwas für Friedrich tun können und Friedrich war ihm, Johannes, gefolgt. Sie waren zwei Verbündete geworden, in einem Kampf, den Friedrich nun aufgenommen hatte. Und Frau Weckerlin hatte wenigstens ein paar Kartoffeln.
    Wenig später hatte er Friedrich wieder gefragt, ob er nicht doch einmal mit hinaufwolle in den Wald. »Bald gibt es die ersten Kräuter und später dann Beeren, Heidelbeeren, Himbeeren, Brombeeren. Im Herbst holen wir Bucheckern und Eicheln. Die Bucheckern bringen wir zur Ölmühle und aus den Eicheln kann man eine Art Kaffee kochen, schmeckt gar nicht so schlecht. Und Holz dürfen wir holen, Bruchholz, die Förster erlauben das. Außerdem Tannenzapfen, die geben gutes Feuer ...« An dieser Stelle war Johannes verstummt, denn Friedrich hatte ihn mit diesem schon wohlvertrauten Blick angeschaut. Es war ein Blick, der ihn zurückwies, eine unsichtbare Mauer errichtete, hinter der Friedrich alles fern hielt.
    Er lebte im umzäumten Niemandsland. Aus dem alten Leben war er vertrieben worden, aber da, wo er jetzt war, wollte er nicht hingehören, das hatte Johannes verstanden. Und dann, gestern Abend, als sie auf der Treppe gesessen und sich über den alten

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