Beerensommer
Mühlbeck unterhalten hatten und gemeinsam überlegten, was man tun könne, um den Kindern zu helfen, da hatte Friedrich plötzlich abrupt gefragt: »Und wie viel bekommst du im Sommer für das Pfund Beeren?«, und dann hatte er fast entschuldigend hinzugefügt: »Ich muss etwas hinzuverdienen, die Mutter kommt mit den paar Pfennigen von der Wohlfahrt nicht zurecht. Und die Verwandtschaft hilft ja nicht. Das heißt«, dabei war er ganz rot geworden, »sie können uns nicht helfen, weil sie selbst gerade nur das Nötigste haben. Wenn ich also mitdarf und wenn du mir dabei hilfst?«
Johannes war es ganz warm geworden. Friedrich hatte ihn gebeten! Er hatte ihn, Johannes Helmbrecht, gebeten, höflich, fast flehend. Er musste sich mehrere Male räuspern, bevor er antworten konnte: »Natürlich, klar kommst du mit. Ich hab’s dir doch schon oft angeboten. Wenn wir Glück haben, kriegen wir zwanzig Pfennig fürs Pfund Beeren und im Badhotel zahlen sie manchmal sogar mehr. Und die Kräuter verkaufen sich auch gut. Und ... es ist auch schön dort droben, vor allem am Katzenbuckel. Ich ... ich ...« An dieser Stelle war Johannes ganz rot geworden und konnte für einen Moment nicht weiterreden, aber dann setzte er stockend den Satz fort: » ... ich male dort oben auch.«
Friedrich hatte ihn für einen Moment aufmerksam und überrascht angeschaut, dann aber lediglich gesagt: »Ich komme also mit, vielleicht morgen früh schon«, und wie zur Bestätigung hatten beide kräftig genickt.
Deshalb wartete Johannes immer noch geduldig, obwohl die Mühlbeck-Kinder zum Aufbruch drängten. Gleich musste der Vater aufwachen, und dann ...
Plötzlich öffnete sich die alte, schwere Eingangstür der Stadtmühle und Friedrich trat heraus! Er trug eine kurze Stoffhose, die ihm viel zu weit war, sie stammte wohl von seinem Großvater. Die Mutter hatte sie abgeschnitten, damit er so etwas wie eine Sommerhose hatte. Welche Verschwendung, dachte Johannes, so eine gute Hose schneidet man doch nicht ab, eher schwitzt man, aber sie lernen’s schwer, die Weckerlins. Zögernd kam Friedrich näher, aufmerksam und misstrauisch beobachtet von den Mühlbeck-Kindern.
»Ich wär’ dann so weit«, sagte er zögernd und schaute unvermittelt auf seine nackten Füße, als wolle er sich vergewissern, dass dort wirklich keine Schuhe mehr waren, dass er wahrhaftig barfuß ging, wie Johannes, wie die Mühlbeck-Kinder. Für einen Moment herrschte Stille, als ob den Kindern bewusst würde, was im jeweils anderen vorging.
Friedrich war endgültig aus seinem Niemandsland herausgetreten, hatte der Not gehorchend die ersten Schritte gemacht, in sein neues Leben, barfuß, ohne Schuhe!
Später, als die Körbe voll waren mit den zarten Löwenzahnblättern, der dunkelgrünen Brunnenkresse und dem saftigen Wegerich und sie sich für eine Pause im Gras der Auwiese am Katzenbuckel ausgestreckt hatten, zog Johannes etwas zögernd seine Buntstifte und einige Blätter zerknittertes Papier aus seinen Hosentaschen. Das Papier hatte die Ahne beim letzten Waschtag dem Herrn Pfarrer abgeschwatzt, der normalerweise die Entwürfe für seine Predigten daraufkritzelte. Die Buntstifte waren die billigsten, die es im Krämerladen der Frau Gutbrod zu kaufen gab. Johannes hatte im letzten Herbst immer wieder ein paar Pfennige abgezwackt und zusammen mit den Weihnachtsgroschen, die der Sägewerksbesitzer Dederer ihm hatte zukommen lassen, konnte er sich ein ganz stattliches Sortiment kaufen. Allerdings waren die Stifte hart und die Farben viel zu blässlich, das war sein großer Kummer, denn wie sollte er mit diesem wässrigen Blau den Frühlingshimmel malen, der sich jetzt so strahlend über ihnen wölbte? Viele blaue Farben wollte er haben, um all die Schattierungen hinzubekommen, denn der Himmel war nicht einheitlich blau. Und da hinten musste beispielsweise etwas Weiß dazu, denn am fernen Horizont hatte sich Wolkendunst nach vorne geschoben. Dort, direkt über ihnen, da war ein Blau, das man streicheln wollte wie einen kostbaren Stoff.
Er riskierte mitten in seine Überlegungen hinein einen Seitenblick zu Friedrich, der ihm neugierig zusah. »Ich wusste gar nicht, dass du so gut zeichnen kannst.«
Johannes’ Herz klopfte.
Jetzt wusste Friedrich also von seinem Geheimnis. »Ach das«, sagte er etwas zu betont gleichgültig und machte eine abwehrende Handbewegung, »das ist nichts Besonderes.«
Friedrich schaute ihn verblüfft an.
Das Bild zeigte die Auwiese im Hintergrund und
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