Beerensommer
vorne hatte Johannes sogar Guste ganz lebensecht eingefangen, wie sie im Gras lag und einen Kranz aus Gänseblümchen flocht.
»Also, ich könnte das nie im Leben«, meinte Friedrich. Johannes hörte so etwas wie Respekt heraus und ihn durchflutete die Freude wie eine warme Welle.
»Das sieht aus wie, wie ...«, Friedrich suchte nach Worten, »wie echt eben. Richtig lebendig. Man kann sogar die Guste einwandfrei erkennen.«
Johannes drehte sich herum und sah Friedrich direkt in die Augen.
»Aber ich könnte es noch viel besser«, flüsterte er, als vertraue er ihm etwas besonders Wichtiges an. »Im Kurpark in Wildbad habe ich einmal einen Maler getroffen, der hatte eine richtige Staffelei und Ölfarben. Wie der malen konnte ... und so viele Farben! Und er war gar nicht eingebildet, hat sogar mit mir geredet, weil ich immer geschaut habe und gar nicht weggehen konnte. Auf eine Akademie müsse ich gehen, hat er gesagt, denn dort kann man es richtig lernen. Zum Beispiel die Per ... Per ..., ich habe das Wort vergessen, aber es schien ihm wichtig. Und er hat gesagt, dass man nicht das malen darf, was man sieht, sondern wie man es sieht! Hier drin«, dabei klopfte sich Johannes auf die Brust, »hier drin sind meine Bilder, hat er gesagt und ich habe ihm erzählt, dass es mir genauso geht. Ich möchte malen, was ich fühle, wenn ich etwas sehe, aber das ist sehr schwierig. Ich möchte so gerne auf eine solche Schule gehen und ich möchte auch ganz andere Farben haben.«
Beide Jungen schwiegen eine Weile und schließlich nahm Friedrich das Bild zur Hand und betrachtete es lange. »Du kannst es schon richtig gut.«
»Wirklich?« Johannes strahlte.
»Ja. Das Bild ist gut. Nicht, weil ich Guste erkennen kann oder die Auwiese, sondern weil es so ist, wie der Maler sagt. Ich kann sehen, was du fühlst. Es ist echt.«
Beide Jungen schauten abwechselnd auf das Bild und dann auf die Kulisse, die vor ihnen lag. Johannes überlegte. Hatte er wirklich die Wärme und das Glück dieses Frühlingstags eingefangen?
Plötzlich war ein Gefühl da, das er so intensiv spürte, dass ihm das Bild viel zu blass und zu oberflächlich schien. Auf einmal fühlte er Friedrichs Hand auf der seinen. Es war nur eine kurze leichte Berührung, aber sein Handrücken brannte, als ob Feuer drübergegangen wäre. Und er hörte eine Stimme an seinem Ohr, heiser, brüchig, aber sehr entschlossen: »Dass jemand, der so etwas Schönes kann, in der Stadtmühle leben muss! Wenn ich erwachsen bin und Geld habe, dann schicke ich dich auf diese Akademie. Und ich kaufe dir alle Farben, die du brauchst!«
8
Seufzend klappt Anna das Heft zu. Von unten klingt Gretls Rufen drängender und lauter herauf. Sie hört Türen gehen und dann Gretls rasselndes Schnaufen. Du liebe Güte, sie wollte sich wohl auf den beschwerlichen Weg machen, um sie zu holen! Bloß weil ich mich einfach nicht losreißen kann von diesem Heft und Gretl schon seit einer Stunde warten lasse!
»Gretl, ich komme!«, ruft sie schnell und eilt die Treppe hinunter, wo ihre Gastgeberin tatsächlich schon auf der ersten Stufe steht und sie vorwurfsvoll anblickt. »Jetzt komm halt schon. Kannst ja nachher weiterlesen«, knurrt die alte Frau und schlurft voraus in das Wohnzimmer, wo ein liebevoll gedeckter Frühstückstisch auf sie wartet. Eigentlich isst sie morgens ja nur etwas Joghurt, aber Anna verkneift sich den Hinweis und bestreicht entschlossen ein Brötchen mit Butter und Marmelade. Es schmeckt wirklich gut und das sagt sie Gretl auch mit vollem Mund. »Und die Marmelade ist nicht so süß, sondern schmeckt richtig fruchtig.«
»Das will ich meinen«, nickt Gretl stolz und gießt bedächtig Kaffee nach. »Selbst gemacht. Da geht nichts drüber. Leider sind es keine Waldhimbeeren, ich komm nicht mehr auf den Berg hoch zum Zupfen. Diese hab ich von den Stöcken hinter eurem Haus. Der Johannes hat sie noch gepflanzt, als er selber schlecht auf den Beinen war. Trotzdem, am besten war doch die Marmelade aus den Waldfrüchten.«
Das ist das Stichwort für Anna. »Er war viel oben im Wald, nicht wahr?«, fragt sie und bohrt auf Gretls Nicken weiter: »Ich hab gar nicht gewusst, dass die armen Kinder früher so hart arbeiten mussten, Beeren sammeln und so ...«
Statt einer Antwort nickt Gretl wieder nur mit dem Kopf. Anna lässt nicht locker. »Warst du auch dabei, ich meine, später? Mein Uropa schreibt, dass du als Baby immer von der Guste Mühlbeck mitgeschleppt worden bist.«
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