Beerensommer
Lachen und Prusten wurden laut. Johannes fragte nach: »Ich soll Sie zeichnen?«, und in seiner Stimme musste wohl so viel Überraschung und Staunen gelegen haben, dass Caspar fast zischend entgegnete: »Ja, mich. Oder hältst du mich für ein weniger geeignetes Modell als deinen Freund Friedrich Weckerlin? Ich werde hier ganz ruhig am Pult stehen bleiben, während wir weiterlesen. Du kannst also ungestört deiner Tätigkeit nachgehen.«
In diesen Worten schwang Spott mit und ein Zorn, der Caspars Stimme ganz hoch klingen ließ. Johannes wusste diese Wut nicht richtig zu deuten, aber die Angst fiel plötzlich von ihm ab, er fühlte sich jetzt ganz ruhig, nahm den Bleistift in die Hand und maß mit den Augen die neben ihm stehende Gestalt. Dass sein Wunsch so rasch in Erfüllung gehen würde! Er würde ihn im Profil zeichnen, natürlich würde es in der Eile keine richtig gute Zeichnung werden, aber Caspar sollte sehen, dass er ihn nicht belogen hatte, dass er wirklich im Stande war, solche Bilder zu malen, er, Johannes Helmbrecht aus der Stadtmühle.
Der Bleistift flog über das Papier, er zeichnete rasch, deutete manche Linien nur an und sah mit Schrecken, wie verräterisch ähnlich die Zeichnung dem Original wurde. Die gedrungene spitzbäuchige Gestalt stand wie eine schwarze Nebelkrähe auf der Stufe, auf der sich das Lehrerpult befand. Es war wieder ganz still in der Klasse geworden, nur der eine oder andere Blick huschte verstohlen nach oben, wo Johannes saß und malte. Als endlich das blecherne Schrillen der Pausenklingel ertönte, verharrten alle auf ihren Plätzen. Manche erhoben sich zögernd, um betont langsam Buch und Schiefertafel zusammenzupacken, die meisten jedoch blieben sitzen, den Blick gespannt auf Johannes und Caspar gerichtet. Der begann unruhig auf und ab zu laufen, scheuchte dann mit barschen Worten die Kinder hinaus und zog am Schluss Friedrich förmlich zur Tür. Der war nämlich wie angewurzelt stehen geblieben, als könne ihn nichts und niemand von der Stelle bewegen. Aber Caspar hielt ihn eisern im Griff und schließlich schloss er aufatmend die Tür ab, durch die er Friedrich gestoßen hatte. Mit pfeifendem Atem blieb er kurz stehen, den Rücken gegen den Türrahmen gepresst, dann rückte er seinen Kneifer zurecht und kam langsam näher.
Johannes saß immer noch am Pult. Ohne ein Wort zu sagen, streckte Caspar herrisch die Rechte aus und genauso stumm legte Johannes das Papier in seine Hand. Caspar riss es ruckartig an sich. Johannes spürte, wie sein Herz stürmisch und unregelmäßig zu klopfen begann, es klopfte sogar ganz oben, in der Kehle, vor allem, als er sah, dass Caspar das Blut ins Gesicht strömte! Er stand unbeweglich da und starrte, hielt den Blick unverwandt auf das Blatt Papier gerichtet und Wellen heißer Röte zogen über sein Gesicht.
Friedrich stand im Flur, an das schwere Geländer mit dem Eichenhandlauf gelehnt, und starrte unverwandt auf die Tür. Er lauschte, hörte mit angehaltenem Atem auf jedes Geräusch, aber er konnte nichts hören. Was erwartete er denn? Caspars Brüllen, das zischende Geräusch des herabsausenden Rohrstocks, vielleicht sogar einen Aufschrei von Johannes?
»Dann gehe ich hinein, dann trete ich die Tür ein, wenn er sie abgeschlossen hat, und packe ihn, ganz egal, was passiert«, presste Friedrich zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. »Er darf Johannes nicht schlagen, nicht wegen des Bildes ... nicht wegen des Bildes ...«, wiederholte er dumpf. Er sagte die Worte mehr zu sich selbst als zu Guste Mühlbeck, die etwas abseits stand und ebenfalls ängstlich auf diese Tür starrte, die für Friedrich jetzt der Angelpunkt seines Denkens war. Alle Gedanken kreisten um die Tür und mehr noch, was wohl dahinter geschehen war, wenn sie sich öffnete.
»Was der Johannes wohl gemalt hat?«, flüsterte Guste und knetete unablässig ihr rechtes Zopfende. Hinter ihr auf der Treppe kauerten Ludwig und Otto, die Gesichter gegen die schmiedeeisernen Rundungen des Geländers gepresst. Keines der Stadtmühlenkinder wäre jetzt nach Hause gegangen, um keinen Preis, obwohl jeden Moment der Hausmeister, der dicke Kiefer, vorbeikommen konnte, der sie sicher mit derben Knüffen verjagen würde.
Es war still im Schulhaus, zu still, wie Friedrich fand, nur von oben, vom allerobersten Stock, wo das Lehrerzimmer lag, drang gedämpftes Lachen. Die Lehrer feierten den Beginn der Ferien und wunderten sich bestimmt schon, wo der Kollege Caspar
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