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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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vergessen hatte, ein merkwürdiges Wort war das gewesen, und vieles habe er, Johannes, sowieso gar nicht verstanden. Aber dass er eben begabt sei, das habe er deutlich gesagt. Und unermüdlich wiederholte Johannes diese Formulierung, immer schneller, übersprudelnd stieß er die Worte hervor und holte kaum Atem.
    Friedrich glaubte zu träumen. »Du willst also sagen, dass du keine Strafe bekommen hast, dass Caspar im Gegenteil von deinem Bild begeistert ist?«
    Johannes nickte mit dem Kopf.
    »Und hat er dich nicht gefragt, warum du in der Schule ganz anders gemalt hast?«
    »Doch, das hat er natürlich auch gefragt.« Johannes zögerte.
    »Und, was hast du gesagt?«
    »Ich konnte es nicht so richtig erklären. Hab dann einfach gesagt, dass das Malen, das richtige Malen, meine ich, etwas ist, das nur mir gehört. Das geht keinen anderen etwas an, habe ich ihm gesagt. Irgendwie hat er es, glaube ich, verstanden. Zumindest hat er nicht mehr gefragt.«
    Friedrich konnte es nicht fassen. Er konnte nicht fassen, was ihm da erzählt wurde. Dieser Caspar, dieser schreiende, prügelnde, rotgesichtige, nach Zigarren stinkende Caspar ... »Ich hab geglaubt, er prügelt dich halb tot!«
    »Das hab ich auch erst gedacht. Aber du, Friedrich ...« Johannes beugte sich zu ihm hinüber, ganz nah, dass Guste und die anderen nichts hören konnten, »weißt du, was ich glaube? Ich glaube, in Caspar ist etwas drin, das wir nicht kennen!«
    Friedrich schüttelte unwillig den Kopf. »Ach was, was soll in dem schon drin sein, außer dem vielen Essen, dem Bier und dem Wein? Wir kennen ihn doch gut genug, was soll denn in dem schon drin sein, diesem hässlichen, fetten ...«
    Eifrig fiel ihm Johannes ins Wort: »Du hast recht, irgendwie, aber trotzdem ... Ich glaube, der Caspar hat ... hat ...«, Johannes rang nach Worten, »er hat Freude am Schönen!«
    »Wenn das Bild ihm ähnlich sieht, wird es wohl kaum schön gewesen sein.«
    »Auf eine bestimmte Art schon! Weil es wahr ist. Echt, wie du immer sagst. Und was wahr ist, was echt ist, ist schön. Ich kann’s nicht so gut ausdrücken. Vielleicht ist es gerade deshalb, weil der Caspar so hässlich ist, auch in seinem Wesen, dass er Sehnsucht nach etwas anderem hat.«
    »Du ... du ...« Friedrich fiel kein passendes Wort ein. »Du Träumer! Siehst noch im größten Misthaufen irgendetwas Besonderes. Ausgerechnet der Caspar! Dass ich nicht lache. Was hat er denn sonst noch gesagt?«
    Plötzlich musste Johannes grinsen. Spitzbübisch lachend sagte er: »Rate mal.«
    »Ich komme sicher nicht drauf.«
    »Er hat mir den Kopf vermessen.«
    Jetzt musste auch Friedrich lachen. Das war wieder sicheres Gelände. Typisch Caspar. »Und, ist etwas Besonderes an deinem Quadratschädel?«
    »Nein, natürlich nicht. Aber er hat mich nach meinen Eltern gefragt. Ob es Fälle künstlerischer Begabung in meiner Familie gegeben hat. Das hab ich mir extra gemerkt: ›Fälle künstlerischer Begabung‹. Ich habe ihm dann erzählt, dass ich meine Eltern nie kennengelernt habe. Dass meine Mutter bei meiner Geburt gestorben ist und dass von meinem Vater niemand etwas weiß. Und mein Großvater ist ein Waldarbeiter gewesen, wie die Ahne mir erzählt hat. Da musste er erst einmal schlucken. Und dann hat er noch etwas Seltsames gesagt.« Auf Johannes’ Stirn erschien plötzlich eine Falte, er lauschte nach innen, als beschwöre er noch einmal die Stimme, diese hohe, dünne Stimme. Friedrich beobachtete ihn besorgt. »Was hat er noch gesagt, Johannes?«
    »Ach nichts. Lass nur. Komm, jetzt gehen wir heim. Nachher holen wir die Körbe, die ersten Heidelbeeren am Katzenbuckel müssen jetzt reif sein. Schön groß sind die. Das gibt einen guten Preis.«
    Er rannte los, nein, er hüpfte, machte riesige Sätze und drehte sogar kleine Pirouetten. Lachend folgte ihm Friedrich, und auch Guste und die Buben ahmten Johannes’ Beispiel nach. Sie rannten durch die Herrengasse, vorbei an zwei älteren, schwarz gekleideten Frauen mit Henkelkörben, die ihnen missbilligend nachschauten und etwas wie »Stadtmühlengesindel« hinterherzischten.
    Als sie in den Lindenplatz eingebogen waren, sah Friedrich, der sich mit Johannes ein Wettrennen geliefert hatte und in der Zwischenzeit ganz vorne rannte, eine Gruppe Pennäler am großen Lindenbaum stehen, der dem Platz den Namen gegeben hatte. Einige saßen auf der wackligen Bank, die sich an den mächtigen Stamm des alten Baumes lehnte, andere standen drum herum und einer schien das große

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