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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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die über der Terrasse aufgezogene Markise ein diffuses rötliches Licht auf den Raum, aber sie hat einen Verdacht. Sind das die Zeichnungen ihres Urgroßvaters, die einzigen, die noch erhalten sind?
    Christine Caspar hat wohl ihre Blicke bemerkt, denn sie unterbricht ihren Mann, der sich gerade über die Probleme der Privatwaldbesitzer ereifert, ziemlich rüde. »Anna interessiert das, glaube ich, herzlich wenig! Ich dachte, wir gehen zum Nachtisch auf die Terrasse, es ist noch richtig schön warm. Aber vorher zeigst du ihr die Bilder.«
    Richard Caspar erhebt sich gehorsam und grinst dabei leicht: »Was sage ich, Geister der Vergangenheit! Aber Christine hat recht. Die Bilder sind wichtiger für dich als mein Gerede.«
    Gretl und Fritz gehen immer noch angeregt diskutierend hinaus auf die Terrasse, Christine verschwindet in die Küche, wohl um den Nachtisch vorzubereiten. Richard und Anna bleiben zurück. Anna liegen einige Fragen auf der Zunge. Mit den Bildern will sie sich sowieso Zeit lassen. Sie bleibt sitzen und Richard, der schon seine Lesebrille aufgesetzt und sich vor den Bildern postiert hat, kommt wieder zurück.
    Vor allem würde mich einmal interessieren, wo Richards merkwürdiges fremdländisches Aussehen herkommt, denkt Anna erneut. Wenn ich an Johannes’ Beschreibung des Herrn Oberlehrers denke, der immerhin der Großvater von Richard sein soll ... Aber das traut sie sich dann doch nicht zu fragen. Stattdessen sagt sie, mehr im fragenden als im feststellenden Ton: »Immerhin erstaunlich, dass jemand wie dein Großvater, der doch ein, entschuldige, Richard, ein sehr harter, ja brutaler und unsympathischer Zeitgenosse war, im Leben meines Uropas eine so wichtige und positive Rolle gespielt hat. Ich hab die entsprechenden Aufzeichnungen von Johannes gerade gelesen und kann mir das eigentlich nicht so recht zusammenreimen.«
    Richard schaut nachdenklich auf die Glasplatte des Tischchens vor ihm und wischt ein paar imaginäre Krümel weg. »Das habe ich mich auch oft gefragt. Und mein Vater sicher auch. Wir haben allerdings nie darüber gesprochen – leider! Alles, was mit seinem Vater und Johannes Helmbrecht zusammenhing, war vermintes Gebiet. Ich glaube, dass er sehr auf deinen Urgroßvater eifersüchtig war, der plötzlich so unvermutet die Aufmerksamkeit seines Vaters auf sich zog. Mein Großvater hat den Johannes nie offen oder in besonders spektakulärer Weise gefördert. Aber mein Vater hat sicher gespürt, dass auf Johannes ganz bestimmte Hoffnungen seines Vaters ruhten, Hoffnungen, die er selber nie erfüllen konnte. Und du hast recht, wir brauchen nichts zu beschönigen, mein Großvater war einer dieser sadistischen, obrigkeitshörigen, wilhelminischen Schulmeister, die es genossen, ihre Macht an Schwächeren zu demonstrieren, und die sich nach oben duckten. Manchmal bin ich ganz froh«, er sieht Anna von der Seite geradezu schelmisch an, »dass ich keinen Tropfen Caspar-Blut in mir habe, wie du sicher wohl bemerkt haben wirst. Aber das ist eine andere Geschichte!«
    Eine Geschichte, die mich sehr interessieren würde, denkt Anna, also stimmt mein Verdacht doch. Aber das kriege ich noch heraus. Sie wundert sich, warum Richard so selbstverständlich von Vater und Großvater spricht und erinnert sich plötzlich an eine Stelle in Johannes’ Aufzeichnungen, in denen er den jungen Richard Caspar, den Sohn des Oberlehrers, als schwachen und duckmäuserischen Menschen bezeichnet. Weil er die Vorstellungen des Vaters nicht erfüllte, wurde er verprügelt und je mehr er geprügelt wurde, desto schwächer und duckmäuserischer wurde er.
    Was die Leute ihren Kindern nur alles antun, denkt Anna. Ein Glück, dass Mama nie von mir verlangt hat, dass ich gefälligst ihr Leben, ihre Träume und Wünsche leben sollte.
    Sie fragt nach: »Was hat denn der Oberlehrer Caspar an Johannes gefunden? Das war doch schon eine ziemlich merkwürdige Beziehung ...«
    Richard hebt ratlos die Schultern. »Da sind wir auf Spekulationen angewiesen. Sicher hat er erkannt, dass Johannes außergewöhnlich talentiert war. Das kann man schon an diesen wenigen frühen Bildern, die erhalten sind, erkennen. Und dann hing das Ganze sicherlich auch noch mit seinem Rasse-Fimmel zusammen.«
    Er fängt Annas Blick auf. »Johannes hat sicherlich darüber geschrieben: das Köpfe-Vermessen und so weiter.« Anna nickt.
    »Davon war er geradezu besessen. Diese damals so populäre, biologistische Weltsicht. Er wollte ein großes

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