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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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Es war eine natürliche Folge ihrer neuen Freundschaft, ein Beweis, dass Friedrich jetzt endgültig zu ihm, Johannes, gehörte, Teil seiner Welt war.
    »Im Treppenhaus habe ich den Caspar getroffen.«
    »Das ist doch nichts Besonderes. Er wohnt schließlich in dem Haus.«
    »Ja, ja, aber stell dir vor, er hat mich angesprochen. ›Brav, brav, mein Junge‹, hat er gesagt.«
    Friedrich lächelte. »Du hast halt einen Stein im Brett bei ihm seit der Geschichte mit dem Bild. Ich kapier’s zwar immer noch nicht, aber es ist so. Bin nur gespannt, wie es nach den Ferien weitergehen wird. Ob er dann immer noch so freundlich zu dir ist?«
    Johannes schüttelte den Kopf. »Es geht ja noch weiter. Er hat mich nämlich eingeladen!«
    Jetzt blieb Friedrich mit einem Ruck stehen. Der große Weidenkorb, den sie einträchtig zwischen sich trugen, hörte auf zu schaukeln und die kleine Gretl, die darin lag, begann unwillig zu greinen. Aber die Jungen achteten in diesem Moment nicht auf sie.
    »Was heißt eingeladen?«, fragte Friedrich scharf.
    »Eingeladen heißt zu sich eingeladen, nach Hause. Am Donnerstag, hat er gesagt, also morgen. Erst wollte er, dass ich am Nachmittag komme, aber ich habe gesagt, das geht nicht, da bin ich oben im Wald. Also hat er gemeint, ich solle um sechs Uhr kommen. Und ob ich gemalt hätte in den Ferien, hat er noch gefragt.«
    Friedrich sog tief Luft ein und schwieg. Er starrte blind auf den Korb, in dem die Kleine jetzt richtig zu weinen anfing, mit hochrotem Gesichtchen ihren Zorn über die plötzliche Störung herausbrüllte. Sofort begannen die Jungen den Korb wieder zu schaukeln und setzten ihren Weg fort, allerdings bedeutend langsamer. Johannes warf einen verstohlenen Blick nach hinten, aber die anderen standen immer noch am Enzufer. Eine Weile herrschte eine angespannte Stille zwischen den beiden, die dann von Friedrich durchbrochen wurde: »Das ist ja merkwürdig. Und warum erzählst du es mir erst jetzt?«
    Johannes zuckte mit den Achseln. Er wusste selbst nicht genau, warum er mit Friedrich nicht gleich darüber hatte sprechen können. Irgendeine merkwürdige Scheu hatte ihn immer wieder zurückschrecken lassen. Vielleicht war es eine unbewusste Furcht, den Freund zu verletzen, diese Gefühle des Neids und der Eifersucht in ihm zu wecken, die tief in Friedrich saßen, wie Johannes wohl wusste. Denn er würde mit dem Besuch bei Caspar diese Welt betreten, aus der Friedrich ausgestoßen war und nach der er sich so sehr zurücksehnte, eine Welt, in der es Gardinen an den Fenstern gab und Polstersessel und Tapeten und den Geruch nach Bohnerwachs und Kaffee und Wohlanständigkeit. Um Friedrich abzulenken, sagte Johannes mit übertriebener Besorgtheit in der Stimme: »Was kann er nur wollen? Ich kann’s mir gar nicht vorstellen!«
    Aber Friedrich ließ nicht locker: »Warum hast du’s mir nicht früher gesagt?«
    Das war genau die Diskussion, die Johannes vermeiden wollte. Gereizt wehrte er ab: »Nun reite doch nicht immer darauf herum. Ich hab’s halt vergessen.«
    »Vergessen! So etwas vergisst man doch nicht.«
    »Ist doch auch egal. Morgen Abend werden wir jedenfalls wissen, was der Caspar von mir will.«
    Sie marschierten weiter an der Kirche vorbei über den Lindenplatz. Aber es herrschte eine merkwürdige Spannung zwischen ihnen, eine Spannung, die offensichtlich sogar Guste bemerkte, die sie in der Zwischenzeit eingeholt hatte, denn sie warf ihnen mehrere Male von der Seite neugierige Blicke zu.
     
    Abends lag Johannes lange wach und starrte gegen die Decke, deren Risse und Schimmelflecken ein immer größeres Ausmaß annahmen. Dass Friedrich so reagiert hatte, schmerzte ihn, ohne dass er genau sagen konnte, warum. Diese Einladung bedeutet mir doch gar nichts. Ich bin kein Teil dieser Welt und werde es nie sein, sie ist mir egal. Am liebsten würde ich gar nicht hingehen, aber es wäre unklug und neugierig bin ich auch. Friedrich und sein Stolz, der ihm in den Augen sitzt und den ich nicht richtig hinkriege beim Malen. Beunruhigt dachte Johannes, dass da etwas im Freund war, das sich ihm entzog, das er nicht verstehen konnte und das ihm ganz insgeheim manchmal auch ein bisschen Angst machte!
    Mit diesen Gedanken schlief er ein und träumte wirres Zeug von Caspar und Friedrich, auf den er zulief auf einem schmalen Felsgrat und der ihm die Hände entgegenstreckte. Und im letzten Moment ließ er die Hände sinken und Johannes stürzte, stürzte ins Bodenlose, verfolgt von diesen stolzen

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