Beerensommer
Geranien, die noch in voller Blüte standen, alles atmete den Geruch von Ansehen und Reichtum.
Als sie auf der Höhe des Hauses angekommen waren, verlangsamte Friedrich für einen Moment den Schritt, dann aber straffte sich sein Rücken und er ging weiter, etwas schneller als vorher vielleicht, aber er ging mit festem Schritt weiter, den Kopf hoch erhoben. Sein Gesicht war etwas röter als gewöhnlich und er hielt den Stecken so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Johannes’ Blick glitt über die Gestalt des Freundes, über die alte Jacke mit den Flicken bis zu den braun gebrannten nackten Füßen, die unbeirrt über das Kopfsteinpflaster tappten. Am liebsten hätte er den Arm um Friedrich gelegt, hätte ihn fest gedrückt und ihm irgendetwas von den Gefühlen mitgeteilt, die ihn jetzt ganz widersprüchlich und seltsam bewegten. Er hätte sie gar nicht genau benennen können, es war Wut dabei über das, was man den Weckerlins angetan hatte, ein ganz allgemeiner Zorn auf diese Welt, in der die einen in festen Lederschuhen und die anderen barfuß gingen, vor allem aber war es ein fast übermächtiges Gefühl der Zuneigung, das Johannes erschreckte.
In diesem Augenblick wurde er sich der besonderen Beziehung zu Friedrich bewusst. Es war nicht die dankbare und pflichttreue Bindung zur Ahne, die irgendwie schicksalsbedingt war. Ihn durchdrang die Glück verheißende Erkenntnis, dass er nicht mehr allein war, sondern zu jemandem gehörte, der völlig freiwillig an seine Seite getreten war! Vielleicht, überlegte Johannes, war es etwas von dem, was die anderen Liebe nannten.
12
Das Haus der Caspars gefällt Anna auf den ersten Blick ausnehmend gut. Leuchtend weiße Schindeln bedecken die Außenwände, eine große Terrasse aus rötlichem Sandstein führt mit zwei seitlichen Treppen hinunter zu einem Garten, der auf sympathische Weise verwildert ist. Innen ist es gemütlich eingerichtet, ein wenig zu plüschig für Annas Geschmack, aber man fühlt sich wohl.
»Das Haus ist gut und gern einhundertundfünfzig Jahre alt, der Vater von Louis Dederer hat es erbaut, als es mit dem Holzhandel aufwärts ging. Wir haben es erst vor wenigen Jahren gründlich renovieren lassen. Hat eine ganze Stange Geld gekostet, aber immer noch besser, als in den großen Kasten zu investieren.« Richard Caspar deutet mit einem Martini-Glas in eine imaginäre Ferne. »Hast du’s schon gesehen?«
Die Frage ist an Anna gerichtet, die verneinend den Kopf schüttelt.
»Wir schauen es uns morgen an, zusammen mit dem Urgroßvater-Haus. Ich kann dir dann auch aus architektonischer Sicht sagen, was sich mit eurem Häuschen machen lässt und wie viel es noch wert ist. Ich fürchte allerdings, allzu viel ist da nicht mehr mit anzufangen. Aber langsam, langsam«, mahnt er sich selber, als er Annas wieder mal ziemlich verwirrten Blick sieht. »Die Geister der Vergangenheit müssen ja nicht alle gleichzeitig über dich herfallen.«
Das Abendessen ist ganz ausgezeichnet, als Vorspeise gibt es geräucherte Forellen, die Fritz eigens aus der Zucht im benachbarten Blaubach geholt hat, und dann einen wunderbar zarten Braten mit den berühmten Spätzle. Beim Essen vermeidet man Gespräche über die Vergangenheit, keine Rede ist von den Helmbrechts, Weckerlins, Caspars, als wolle man Anna eine Verschnaufpause gönnen.
Gretl erzählt von ihrem Ausflug auf den Katzenbuckel, berichtet aber nur, dass die Heidelbeeren gut stehen, und entrüstet sich über die vielen neuen Forststraßen, die es jetzt oben am Eiberg gäbe.
»Das ist das Problem«, sagt Richard Caspar bedächtig und schenkt Anna noch etwas von dem spritzigen Riesling nach. »Der Wald ist ein Wirtschaftsfaktor, ein ökonomisches Nutzgebiet, dementsprechend wird er auch behandelt. Und dazu gehört zum Beispiel auch der Bau solcher Straßen, um nach dem Holzeinschlag den Abtransport zu ermöglichen. Schön ist das bestimmt nicht, aber heutzutage setzt man eben immer mehr Maschinen ein. Früher ging das alles mit Pferden und Menschen, auch wenn es eine mühsame und gefährliche Arbeit war.«
»Aber für den Wald war es schonender«, beharrt Gretl und bald entspinnt sich eine rege Diskussion, an der sich Anna nicht beteiligt, weil sie als Stadtpflanze nicht viel dazu beitragen kann. Ihr Blick bleibt immer wieder an einer Reihe von Zeichnungen hängen, die gerahmt an der gegenüberliegenden Wohnzimmerwand hängen. Sie kann aus der Entfernung nicht genau erkennen, was sie darstellen, zudem wirft
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