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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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hoffnungslos romantisch, aber ...« Sie zögert einen Moment. »Aber das würde diese Sehnsucht nach Italien erklären. Der Taugenichts will doch immerzu nach Italien, und vielleicht war das im Johannes einfach drin.«
    Richard nickt bedächtig. »Dieses unbewusste Heimweh nach dem Land der Väter, meinst du? Irgendwie gefällt mir der Gedanke. Er ist weit hergeholt und ziemlich kitschig, aber trotzdem schön. Bevor wir hoffnungslos sentimental werden, schauen wir uns die Bilder an, du hast ja eigentlich das Stichwort gegeben.«
    Sie gehen hinüber zu der Wand, Richard zieht wieder seine Lesebrille heraus und deutet erklärend auf die Bilder.
    »Wie ich gemerkt habe, kennst du die Novelle.«
    Anna lächelt etwas gequält. »Gezwungenermaßen. Schullektüre, elfte Klasse.«
    »Schön, dann bist du also mit dem Inhalt vertraut. Richard Caspar hat damals Johannes den Auftrag gegeben, zu jedem der Taugenichts-Kapitel eine typische Szene zu malen. Es sollte ein Geschenk für seine Frau sein, die Novelle war ihr Lieblingsbuch. Wahrscheinlich wollte er aber Johannes auch einfach nur testen. Nun hat der ›Taugenichts‹ zwölf Kapitel, du siehst hier aber nur neun Bilder hängen. Merkwürdigerweise sind es gerade die letzten drei Kapitel, zu denen die entsprechenden Zeichnungen fehlen. Wir können uns nicht erklären, was mit denen passiert ist. Mein Vater hat zwar viel aus dem Nachlass seines Vaters vernichtet, aber die Bilder gehörten seiner Mutter, und die hing sehr an ihnen. Als sie starb, hat er ihr Erbe mit großer Pietät behandelt. Nach seinem Tod sind die Zeichnungen wiederum an uns, Christine und mich, übergegangen und da waren es nur noch neun Bilder. Es würde einfach keinen Sinn machen, nur drei Bilder zu vernichten und die anderen übrig zu lassen. Wir hoffen übrigens sehr, dass die Aufzeichnungen deines Urgroßvaters Aufschluss darüber geben, was mit den restlichen drei Zeichnungen passiert ist. Nicht wegen des materiellen Interesses, so viel wert sind die Bilder nicht, aber es ist einfach ein altes Familiengeheimnis, das wir noch zu lösen hoffen.«
    Ein Seitenblick streift Anna. »Aber jetzt schau dir die Bilder in Ruhe an. Dort drüben hängen noch zwei Porträts von Friedrich und einige Landschaftsskizzen, die von der Familie Weckerlin übrig geblieben sind. Johannes hat sie Friedrich oder der Frau Weckerlin, Christines Urgroßmutter, geschenkt. Die Familie hat sie stets in Ehren gehalten.« Richard lächelt, wird aber gleich wieder ernst. »Das ist alles, was übrig geblieben ist«, sagt er feierlich und Anna wird ganz merkwürdig zumute, als sie nahe an die Bilder herantritt, um sie genauer zu studieren.
    Sie versteht nicht viel von Kunst, der Kunstunterricht hat ihr nicht gerade Spaß gemacht, und die Führungen durch die Berliner Museen mit der Schule oder in Begleitung ihrer Mutter hat sie lustlos über sich ergehen lassen. Ob es sich um romantische Mondaufgänge, quietschbunte Kringel oder mit Fett beschmierte Stühle handelt – das alles sagt ihr wenig. Aber bei diesen Bildern, da geht es nicht um Kunst. Sie sind ein wichtiger Teil des Vermächtnisses meines Urgroßvaters, denkt sie. Johannes spricht auch durch diese Bilder zu mir, so empfindet es Anna zumindest.
    Die Bilder sind nicht bis ins letzte Detail ausgeführt. Manches ist nur angedeutet, skizzenhaft verwischt, aber genau das gefällt ihr. Auch als Laie erkennt sie, wie souverän und sicher der Maler seine Vorlage umgesetzt hat. Und dabei war er erst knapp vierzehn, als er sie gemalt hat. Anna denkt, dass sie nie im Leben so malen könnte, und sie erinnert sich an ihr eigenes zaghaftes Herumgekliere in den endlos langen Zeichenstunden.
    Aber sie ist noch auf der Suche nach etwas anderem. Wie hatte Johannes geschrieben – »echt« müssten Bilder sein, etwas von den Gefühlen des Malenden mitteilen. Was steckt bloß hinter diesen Bildern?, überlegt Anna. Die Farben sind ziemlich verblasst, das Papier ist von einfacher Qualität und manches ist nicht mehr so gut zu erkennen. Das macht es schwieriger, herauszufinden, was er damit ausdrücken wollte. Steckt vielleicht etwas von der Sehnsucht darin, die er mit dem jungen Mann aus der Erzählung geteilt hat? Anna betrachtet die Bilder lange, aber sie kann es nicht ergründen, noch nicht, wie sie hofft.
    An der anderen Wandseite hängen zwei Porträtstudien von Friedrich, ausgeführt mit Bleistift auf billigstem, jetzt deutlich vergilbtem Papier. Auch diese Zeichnungen studiert Anna mit

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