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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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wachsendem Interesse. Sieht diesen trotzig aufgeworfenen Mund, die traurigen Augen. Plötzlich wird der Junge, den sie aus den Aufzeichnungen kennt, lebendig. Ein Funke ist übergesprungen, das spürt sie jetzt! Lange betrachtet sie das Gesicht, das festgehalten wurde über diese ganze lange Zeit. Er muss ihn sehr gern gehabt haben, denkt sie, man spürt immer noch etwas von dieser großen Zuneigung: Das Bild ist »echt«, findet sie. Es zeigt Friedrich Weckerlin in seiner Schönheit, aber auch in seinem Stolz und seiner Verletztheit.
     
    Auf der Terrasse haben sie mit dem Nachtisch auf sie gewartet, weil sonst das Eis zerlaufen wäre, verkündet Christine, die rasch das Vanilleeis auf den Tellern verteilt und dann die heißen Himbeeren darübergießt. Diese Beeren verfolgen mich geradezu, denkt Anna, aber sie schmecken auch wirklich fantastisch. Und während sie genussvoll das Dessert löffelt, sieht sie plötzlich eine Gruppe magerer Kinder vor sich, die diese Beeren pflücken, unermüdlich und mit monotoner Sorgfalt die Beerenstöcke ablesen. Mit aller Macht muss sie dieses Bild verbannen, sonst hätte sie nicht weiteressen können.
    Sie spürt, dass die anderen einen Kommentar von ihr erwarten, eine Meinung zu den Bildern, dass sie Gefühle äußert, Beklommenheit, Überraschung, Freude, irgendetwas in der Art. Aber keiner bedrängt sie, alle warten taktvoll. Schließlich räuspert sie sich und sagt mit brüchiger Stimme: »Die Friedrich-Bilder sind unglaublich schön. Sie sind wirklich ›echt‹, wie Johannes immer schreibt. Mir kommt es so vor, als hätte ich Friedrich persönlich kennengelernt.« Ja, so kann man es wirklich sagen, das trifft es, denkt sie und löffelt verlegen den Nachtisch weiter.
    Christine nickt. »Das war wirklich eine außergewöhnliche Freundschaft zwischen den beiden. Den Bildern merkt man das an. Umso schlimmer, dass ...« Sie beendet den Satz nicht, wohl auch, weil sich Richard warnend räuspert.
    Was ist nur passiert damals?, überlegt Anna und wartet darauf, dass irgendeiner etwas sagt. Aber alle schauen mehr oder weniger betreten auf ihre leer gegessenen Teller, als sähen sie darin geheime Botschaften.
    Etwas unsicher fährt Anna fort: »Die Taugenichts-Bilder finde ich auch großartig, obwohl ich mit ihnen nicht so viel anfangen kann. Aber ich selbst würde nie im Leben so etwas fertig bringen.«
    »Er hatte ganz sicher Talent«, bestätigt Richard. »Er verfügte über eine erstaunliche Sicherheit und ein intuitives Verständnis für Proportionen und Perspektive. Ich bin sicher, mit entsprechender Anleitung hätte er es weit bringen können. Zu schade, dass wir keines seiner späteren Bilder mehr zur Verfügung haben. Es wäre sehr interessant gewesen zu sehen, wie er sich entwickelt hat.«
    »Sehr schön hat er gemalt, der Johannes. Ich hab alle seine Bilder gesehen. Das ganze Haus hing voll davon.« Gretl hat sich kampfeslustig in ihrem Sessel aufgerichtet, irgendwie scheint sie zu meinen, Johannes verteidigen zu müssen. Aber die anderen achten nicht auf sie.
    »Ein wahrer Jammer«, bekräftigt Christine. »Und dass ein solches Talent so verkümmerte.«
    »Aber wo sind denn die ganzen Bilder hingekommen?« Anna ist wirklich gespannt. »Stimmt es wirklich, dass er alles vernichtet hat? Und später nie mehr gemalt hat?«
    »Anna, das soll dir Johannes selber sagen. Gretl hat ihre Version, die sicher der Wahrheit sehr nahe kommt. Aber die Geschichte ist so traurig, so verhängnisvoll und so tragisch, dass du es besser direkt von ihm, aus seinen Aufzeichnungen, erfährst. Da darf kein falscher Zungenschlag von außen hereinkommen.« Richard klingt jetzt sehr bestimmt. »Ich bin sicher, dass Johannes selber zu dir sprechen wird, hab Geduld.«

13
     
    Es war schon dunkel, als endlich die Tür des großen Fachwerkhauses aufging, in dem der Herr Oberlehrer Caspar mit Frau und Sohn eine Etage bewohnte. Die Tür öffnete sich so zögernd, als scheue sich der, der heraustrat, das Innere des Hauses zu verlassen. Tatsächlich, es war Johannes, der behutsam die Tür hinter sich schloss und dann in ungewohntem Zögern auf ihn zuschritt. Friedrich hatte sich schräg gegenüber am Gasthaus »Sonne« postiert und auf den ausgetretenen Stufen, die hinunter zum Wein- und Bierkeller des Sonnenwirts führten, gesessen und geduldig gewartet. Die Passanten, die zum Dämmerschoppen in das Wirtshaus gingen, hatten ihn kaum beachtet. Nur ein ehemaliger Kunde des Vaters hatte ihn aufmerksam gemustert

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