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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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den kleinen Bruder gelegt, den seit einigen Tagen wieder starker Husten schüttelte. Die Mutter hatte mit einem nassen Tuch immer wieder seine fieberheiße Stirn zu kühlen versucht und auch die dünnen Beinchen mit nassen Lumpen umwickelt, um so das Fieber herunterzudrücken.
    Vorhinhatte Friedrich sie dann sanft, aber bestimmt hinausgeführt in die Küche, wo die Ahne und Lene mit Emma und Gretl am Küchenherd saßen. Sie tranken heißen Tee, zubereitet aus den Kräutern, die die Kinder im Sommer gesammelt hatten. Die Betglocke um halb sieben hatte gerade geläutet und es war schon stockdunkel. Die Mutter hatte dankbar den heißen Tee entgegengenommen und bedrückt von Wilhelms Zustand erzählt. Sie war gealtert in diesem vergangenen Jahr, die Schultern hatten sich nach vorne gekrümmt, als schleppe sie eine unsichtbare Last auf dem Rücken und die einstmals so gepflegten, dichten, glänzenden Haare waren ganz dünn geworden und schimmerten an einigen Stellen schon grau.
    Kein Wunder, dachte Friedrich bitter, neben all dem Elend kommt jetzt noch die Sorge um Wilhelm dazu. Er wechselte behutsam die Tücher aus und benetzte Wilhelms Lippen mit Wasser. Der Bruder warf unruhig den Kopf hin und her und brabbelte unverständliches Zeug. Wenn nur das Fieber etwas herunterginge!
    Aus der Küche drang das glucksende Lachen der beiden Mädchen herüber, die kleine Gretl krähte fröhlich irgendetwas und Emma, die Größere, antwortete mit ihrem hellen Stimmchen. Wahrscheinlich spielten sie mit den Puppen, die Johannes ihnen zu Weihnachten gemacht hatte. Es waren gar keine richtigen Puppen, er hatte runde Holzstücke genommen und Gesichter hineingeschnitzt, richtige Gesichter mit Augen, Nase und Mund. Er hatte auch Hände und Füße angedeutet und die Frauen hatten einige Lumpen zusammengenäht und die Puppen damit bekleidet. Die beiden kleinen Mädchen hatten gejubelt, als sie am Heiligen Abend dieses Geschenk erhielten, ihnen waren diese Puppen genauso lieb wie den Bürgerstöchtern die Porzellanpuppen mit den Korkenzieherlocken und den Rüschenkleidern.
    Friedrich lächelte und horchte auf das Plappern der Kinder, das ihm in diesem Moment so tröstlich erschien. Das würde der Mutter auch guttun, die sich vor lauter Sorgen um Wilhelm fast verzehrte. Aber es gab noch einen anderen Grund, warum er die einsame Wache an Wilhelms Bett übernommen hatte! Auf Zehenspitzen schlich Friedrich hinüber zu der Ecke, wo die wurmstichige Kommode mit der Wäsche stand, rückte sie vorsichtig etwas beiseite und hob eines der losen Dielenbretter an. Dort lagen in einem großen karierten Taschentuch die sorgsam aufgesparten Pfennige, das Wenige, das er abgezweigt hatte von dem Geld, das er mit dem Beerensammeln verdient hatte und das er stets treulich der Mutter aushändigte. Er nahm die Groschen in die Hand und zählte sie sorgsam und bedächtig in das Tuch. Es war Unsinn, er wusste es, er kannte die Summe doch, jetzt im Winter kam ja nichts hinzu. Trotzdem zählte er immer wieder, als könnten sich die Groschen genauso vermehren wie die Mäuse, die in allen Ecken der alten Mühle umherhuschten. Ein Ziel hatte er klar vor Augen: Nächstes Jahr zu seiner Konfirmation wollte er in eigenen Schuhen gehen, in festen, genagelten Lederschuhen, keine geliehenen durften es sein.
    Aber jetzt gab es zwei Ziele, die in Konkurrenz zu diesem alles beherrschenden Wunsch traten! Im Frühjahr feierte Johannes Konfirmation, ein Jahr früher als Friedrich, denn er war einige Monate älter. Man hatte ihn damals bei der Einschulung wegen seiner körperlichen Schwäche zurückgestellt und deshalb ging er in die gleiche Klasse wie Friedrich. Aber am nächsten Osterfest war die Schulzeit für sie beide zu Ende, unerbittlich rückte diese Zeit näher und was er dann machen sollte, stand in den Sternen.
    Friedrichs Gedanken schweiften nach oben, wo der Freund jetzt bestimmt in seinem Zimmer saß, die klammen Finger immer wieder aneinander reibend, und malte, unaufhörlich Skizzen malte für den Herrn Oberlehrer. Die ersten Entwürfe waren schon fertig. Sie waren gut geworden, sehr gut, soweit Friedrich das beurteilen konnte, und auch Herr Caspar schien zufrieden, denn er hatte Johannes beauftragt, jetzt die richtigen Zeichnungen anzufertigen, diesmal in Farbe. Bis Februar war nicht mehr lange hin und Johannes malte wie im Rausch. Wenn er aber in die Küche kam, hingen jedes Mal die Kinder an seinem Ärmel und riefen: »Vorlesen, bitte, Johannes, vorlesen!«
    Das

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