Beerensommer
noch auf die große Offensive. »Rechtzeitig zur Beerenzeit kommt er wieder heim, einen Beerensommer ohne Johannes gibt es doch nicht!«, sagte Friedrich immer wieder zu Emma und Gretl. »Und wenn er kommt und wir die ersten Heidelbeeren gepflückt haben, dann behalten wir ein oder zwei Pfund für uns und machen Heidelbeerpfannkuchen, dicke fette Heidelbeerpfannkuchen mit Zimt und Zucker bestreut, und dann schlagen wir uns die Bäuche voll.«
Die beiden kleinen Mädchen hatten ungläubig genickt, denn was Friedrich da sagte, verstanden sie nicht. In ihrem Leben hatten sie noch nie Pfannkuchen gegessen und unter vollen Bäuchen konnten sie sich nichts vorstellen, so weit reichte die Fantasie nicht.
Quer über den Polderplatz kam Louis Dederer auf das Sägewerk zu. Auf Anweisung Friedrichs zogen zwei Arbeiter mit den langen Hakenstangen einen Baumstamm vom Förderband hinüber zur Gattersäge, wo Friedrich darauf achtete, dass der Stamm passgenau eingerichtet wurde. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Louis Dederer die Außentreppe zum Sägewerk hochstieg. Wahrscheinlich würde er jetzt gleich hier auftauchen. Er sah besser aus und bewegte sich auch wieder sicherer und schneller. Im Winter war er einige Wochen in Badenweiler zur Kur gewesen. Irgendwie musste Lisbeth ihn überzeugt haben, dass dies gut für ihn sei. Er nahm wieder mehr Anteil am Geschäft und als erste Maßnahme hatte er Übele zusammengestaucht. Die Arbeit ginge zu langsam voran. »Dauernd fällt die große Gattersäge aus. Hier wird schlampig geschafft!«, hatte er so laut gebrüllt, dass man es bis hinüber zum Stapelplatz hören konnte. Er hing zwar immer noch an der Flasche, immerhin gelang es ihm aber, bis zum späten Nachmittag einigermaßen nüchtern zu bleiben und »ein Auge auf alles zu haben«, wie er es ausdrückte.
Für Friedrich hatte diese Veränderung ebenfalls etwas Neues gebracht. Dederer hatte nämlich bestimmt, dass Friedrich der Gatterführer an der großen Säge werden sollte, trotz Übeles Protest, er sei noch viel zu jung.
»Unsinn. Das ist ein tüchtiger Bursche, ein kluger Kopf, der ist zu schade für das Entrinden und die andere Drecksarbeit!«, hatte er Übele angepfiffen, der sich wortreich gegen diese Beförderung Friedrichs wehrte. So kam Friedrich an die große Säge und Übele bedachte ihn seitdem mit noch giftigeren Blicken aus finster zusammengekniffenen Augen. Friedrich tat das achselzuckend ab, widmete sich mit Hingabe seiner neuen Tätigkeit und passte auf wie ein Luchs, dass die Stämme einwandfrei entrindet und gesäubert wurden. Die Ausfälle waren seitdem deutlich zurückgegangen, eine Tatsache, die von Dederer beifällig bemerkt wurde und auch eine Lohnerhöhung zur Folge hatte. Mit seiner Zustimmung hatte Friedrich auch das Ölen der Maschinen nach Feierabend selber übernommen. Eigentlich war dafür der Maschinenmeister verantwortlich, aber es war offenkundig, dass der ebenfalls dem Schnaps ordentlich zusprach und dementsprechend nachlässig arbeitete. Aus irgendwelchen dunklen Gründen wurde dieser von Übele gedeckt!
So war Friedrich stets der Letzte im Sägewerk und deshalb hatte man ihm das Zuschließen anvertraut. Lisbeth hatte das angeordnet, sie meinte, das sei praktischer so, und Friedrich musste jeden Abend den Schlüssel bei ihr im Kontor abholen und später im Wohnhaus wieder abgeben. Sie stand dann da, betrachtete ihn mit ihren hervorquellenden Augen. Es war ein merkwürdiger Blick, wie Friedrich fand. Ihm fiel kein passendes Wort dafür ein, es lag Neugierde darin und eine gewisse Herausforderung, die so gar nicht zu dieser Person mit den eckigen Bewegungen und der meist verdrossenen Miene passte. Aber Badenweiler hatte auch ihr gut getan, sie hatte sich neu eingekleidet, trug die Röcke kürzer, wie es jetzt wohl Mode war, und hatte auch die Haare anders frisiert.
Louis Dederer war nun herangekommen und auf diese Entfernung konnte man sehen, dass sein Gesicht nicht mehr so aufgedunsen und auch die gelblich braune Verfärbung der Augen verschwunden war. Er beobachtete eine Weile die Arbeit an der Säge und Friedrich tat so, als bemerke er ihn gar nicht. Er arbeitete konzentriert weiter und die Säge fuhr butterweich in die Stämme. Auf einmal spürte er einen kräftigen Schlag auf der Schulter, das war der alte Dederer, der dazu noch ein für alle laut vernehmliches »Gute Arbeit!« brüllte. Übele stand an der Tür seines kleinen Büros und beobachtete diese Szene. Nach der
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