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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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Mittagspause, als sich Friedrich gerade den armlangen Lederhandschuh des Gatterführers überzog, kam einer der älteren Arbeiter zu ihm herüber und flüsterte ihm leise ins Ohr: »Pass auf, der Übele führt etwas im Schilde!«
    An diesem Abend kontrollierte Friedrich besonders sorgfältig alle Räume des Sägewerks. Er hatte ein merkwürdiges Gefühl, denn kurz nach der leise geflüsterten Warnung war Übele zu ihm gekommen und hatte ihm einige Rattenfallen in die Hand gedrückt. Im Sägemehlraum stimme etwas nicht, wahrscheinlich gebe es wieder Ratten und er, Friedrich, solle bei seinem abendlichen Rundgang die Fallen dort unten aufstellen. Das war eigentlich nichts Außergewöhnliches, im Sägewerk hatte man ständig mit diesen fetten, grauen Biestern zu tun, die manchmal sogar die Arbeiter bissen. Trotzdem war er auf der Hut.
    Der Sägemehlraum lag unterhalb des eigentlichen Sägewerks im gemauerten Fundament. Dort kauften die Grunbacher das Sägemehl, um es als Streu in ihren Ställen zu benutzen. Durch eine große Tür, die direkt nach draußen auf die Straße führte, konnte man in diesen Raum gelangen und die Leute konnten ihre Leiterwagen mit den Säcken beladen. Diese Tür schloss Lisbeth am Abend von außen ab, wenn der letzte Kunde gegangen war. Friedrich betrat den Sägemehlraum bei seinem Kontrollgang über eine schmale, steile alte Holztreppe, die vom Sägewerk direkt nach unten führte. An diesem Abend war er durch die Fallen behindert, er konnte sich nicht am Handlauf der Treppe festhalten, was ihm angesichts des Halbdunkels und der ausgetretenen Treppenstufen ansonsten ratsam erschien. Er stieg deshalb besonders langsam hinab, setzte vorsichtig den Fuß auf die Stufen und in der Mitte der Treppe merkte er auf einmal, dass er keinen Halt mehr fand, er rutschte einfach aus auf der merkwürdig glitschigen und glatten Stufe! Instinktiv ließ er die Fallen los, packte mit der Linken das Geländer, während sein Körper schon auf der Treppe aufschlug und er einen stechenden Schmerz im Rücken spürte, dann, immer noch nach unten rutschend, konnte er den weiteren Fall aufhalten, indem er endlich das Geländer richtig zu fassen bekam und aufstöhnend liegen blieb.
    Er verharrte so einige Zeit, ein bohrender dumpfer Schmerz breitete sich über seinen ganzen Rücken aus und endlich fand er den Mut, sich vorsichtig, ganz vorsichtig aufzurichten. Gottlob, er konnte alle Gliedmaßen bewegen, nichts schien gebrochen. Langsam zog er sich am Geländer hoch und tappte einige Stufen weiter nach unten. Dann strich er mit dem Zeigefinger vorsichtig über die Treppenstufen und spürtenun deutlich etwas Schmieriges, er roch daran, kein Zweifel, das war Maschinenöl. Er untersuchte Stufe für Stufe. Das waren keine einzelnen, zufällig verschütteten Öltropfen, die Stufen in der Mitte waren systematisch damit eingerieben worden.
    Von wegen Rattenfallen – diese Treppe war als Falle für ihn gedacht! Hätte er sich nicht geistesgegenwärtig am Geländer festgehalten, hätte er schwere Verletzungen davongetragen, sich vielleicht sogar das Genick gebrochen.
    Dahinter steckte Übele, da gab es keinen Zweifel, Übele, der zerfressen war von Neid und Eifersucht! Trotzdem erschien ihm das Ausmaß dieser Abneigung so unfassbar groß, dass er eine Weile im dunklen, staubigen Sägemehlraum sitzen bleiben musste, bevor er in der Lage war, wieder nach oben zu gehen. Er war wie gelähmt und schalt sich deswegen einen Narren, schämte sich der eigenen Fassungslosigkeit, der kurzzeitigen Ohnmacht, mit dieser Situation fertig zu werden. Schließlich hatte er Übele provoziert. Und dennoch, einen Menschen zu verletzten, tückisch und gezielt geplant, ihn vielleicht sogar in den Tod zu schicken, das war etwas, was ihm den Atem nahm und ihn lähmte.
    Er nahm eine Hand voll Sägemehl und schüttete es vorsichtig auf die Stufen. Dann zog er sich vorsichtig die Treppe hinauf. In der Tasche raschelte Johannes’ Brief – der ihm Glück gebracht hatte, davon war er überzeugt! Er musste daran denken, um wie viel mehr Johannes jeden Tag, jede Stunde Schmerz und Tod fürchten musste, er hatte ihn gar nicht für fähig gehalten, mit solchen Situationen klarzukommen. Und jetzt erwies er, Friedrich, sich als so schwach ... Aber niemand sollte davon je erfahren! Von jetzt an war er auf der Hut! Mit dem Übele würde er schon fertig werden.
    Grimmig lächelnd schloss er die restlichen Türen ab und gab dann Lisbeth die Schlüssel zurück, Lisbeth,

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