Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)
nichts mehr hörte.
Doch auch das seltsam Verschlungene dieses Weges möchte ich beschreiben und von den vielen Hindernissen und Widerständen sprechen, die Beethoven überwinden musste, wie von den Augenblicken der Unsicherheit und der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, die ihn mehr als einmal überfielen. Gelegentlich werde ich sogar zu zeigen versuchen, dass sich alles ganz anders hätte entwickeln können, weil Beethoven sein Schicksal nicht immer in der Hand hatte. Georg August von Griesinger – sächsischer Diplomat in Wien, Freund Beethovens und später der erste Haydn-Biograph – hatte natürlich Recht, als er einige Wochen nach Beethovens Tod behauptete, Beethoven sei von seinem gewaltigen Genius getrieben worden.[ 2 ] Aber reicht Genialität, um weltberühmt zu werden? Mit Genies ist es wie mit Wunderkindern: Kein hochbegabtes Kind entschließt sich selbst, ein Wunderkind zu werden. Nicht zuletzt das Umfeld, Erziehung und Ausbildung, zufällige Umstände, sogar das Marketing verhelfen einem außergewöhnlichen Talent zu einem außergewöhnlichen Rang. Deshalb möchte ich die Netzwerke sichtbar machen, die Beethovens Karriere beeinflussten, die Menschen porträtieren, die ihn gefördert, und die mittelbaren und ganz unmittelbaren Interessen skizzieren, die dabei eine Rolle gespielt haben.
Schließlich werde ich auch darstellen, wie entscheidend Beethoven die Musik und das Musikleben des 19. Jahrhunderts geprägt hat. Nach ihm war nämlich alles anders als vor seiner Zeit: Der Komponist war nicht mehr selbstverständlich auch Ausführender seiner Musik; der Notentext ließ dem ausführenden Musiker nur noch relativ wenig Spielraum, seine Fantasie hatte sich weniger improvisierend als interpretierend zu betätigen; Komposition wurde zu einer musikalischen Disziplin für sich, mit hohen ethischen und ästhetischen Ansprüchen; die Musik wurde komplexer und mit einem besonderen Ideengehalt aufgeladen, was dem Publikum eine andere Hörweise abverlangte; die Kluft zwischen Kennern und Liebhabern verbreiterte sich; der Komponist erlangte einen völlig anderen sozialen Status, der auch ökonomisch neue Möglichkeiten und Probleme mit sich brachte – denken wir nur an Beethovens Verhältnis zu den damals immer wichtiger werdenden Musikverlagen. Kurz und gut: Der Komponist hatte sich vom Handwerker zum Künstler entwickelt, und Beethoven war sich dessen bewusst. (Dass er selten eine seiner handschriftlichen Partituren, Entwürfe oder Skizzen wegwarf, deutet darauf hin, dass er schon früh an sein «Œuvre» dachte.) Es ist faszinierend festzustellen, dass sich diese Metamorphose während der Laufbahn eines einzigen Mannes vollzogen hat, der rücksichtslos gegen die Beschränkungen seiner Epoche anrannte. Natürlich lagen solche Veränderungen in der Luft. Aber ist es nicht ein Kennzeichen von Genies, dass in ihnen eine Tendenz, etwas noch unklar sich Abzeichnendes, deutlich und in gedrängter Form Gestalt gewinnt? «Zwischen Genie und Zeitalter besteht nun eine komplizierte und schwer entzifferbare Verrechnung», meinte Egon Friedell.[ 3 ] Ein Beethoven-Biograph muss diese «Verrechnung» zu analysieren versuchen.
Der Beethoven-Biograph kommt aber auch nicht umhin, die Lebensgeschichte mit Geschichten über diese Geschichte zu durchweben. Selbstverständlich ist man beim Schreiben jeder Biographie der Willkür ausgeliefert, mit der das Geschehene seine Spuren verwischt; wie das Porträt ausfällt, hängt in hohem Maße davon ab, welche Fakten zufällig überliefert sind und welche nicht. (Vielleicht würde sich zum Beispiel ein ganz anderes Bild ergeben, könnten wir heute auf alle zehntausend Briefe zurückgreifen, die Beethovens Korrespondenz nach Ansicht der Spezialisten umfasste, und nicht nur auf die gut zweitausend erhaltenen.) Im Falle Beethoven wird das Bild aber noch zusätzlich durch den leichtfertigen Umgang mit den Quellen verzerrt, denn unmittelbar nach seinem Tod wurden, vorgeblich zum Schutz seines Andenkens, Dokumente manipuliert und gefälscht.
Der große Übeltäter hieß Anton Felix Schindler. Er war der Inbegriff des Kriechers, eine ekelhafte Kreuzung aus Schmeichler und Parasit, besessen von dem Wunsch, in den kleinen Kreis von Intimi des mittlerweile hoch berühmten Komponisten vorzudringen. Denn er hoffte, als eine Art Beethoven-Gefährte, wenn nicht zu dessen Lebzeiten, dann wenigstens danach, den Sprung aus der eigenen Bedeutungslosigkeit zu schaffen. (Dass wir uns schon jetzt
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