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Befehl aus dem Jenseits (German Edition)

Befehl aus dem Jenseits (German Edition)

Titel: Befehl aus dem Jenseits (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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an ihren Vater. Sie wollte zurück. Sie sehnte sich nach einer Geste, einem Wort von ihm. Es war ihr plötzlich unverständlich, wie blind sie oft gehandelt hatte.
    Langsam gab der große, zackige Schatten des Insekts ihre linke Pupille frei. Sie konnte wieder sehen. Für Myriam Roos war dieser Augenblick von entscheidender symbolischer Bedeutung: Sie wurde erwachsen. Sie erkannte, wieviel sie unbeabsichtigt falsch gemacht hatte. Wieviel Zeit sie verschwendet hatte ...
    In diesem Moment leistete Myriam Roos einen heimlichen Schwur. Falls sie jemals wieder nach Brasilien zurückkehren sollte, würde sie ihr Leben von Grund auf ändern. Der Schatten des kleinen Mannes kreuzte ihr Blickfeld. Dann sah sie ihn selbst. Er beugte sich vor. Als er sich aufrichtete, hatte er klobige Steine in den Händen. Er wartete, wippte auf den Zehen, zielte und schleuderte einen Stein in die Tiefe.
    Sie hörte ein hohes, kicherndes Lachen der Befriedigung. Unverständliche Laute sprudelten aus dem Mund des Fremden.
    Und wieder warf er einen Stein. Myriam konnte nicht sehen, worauf er zielte. Wie besessen bekämpfte der magere Mann sein unbekanntes Opfer. Nach jedem Treffer zuckte Myriam innerlich zusammen.
    Was dieser Mann auch mit Steinen bewarf – seine Handlungsweise war in dieser Situation nicht gerechtfertigt. Dem Mädchen wurde klar, daß der Nackte verrückt war. Sie spürte es mit allen Fasern.
    Der Mann sprang auf dem flachen Plateau hin und her. Er benahm sich wie ein tanzender Derwisch. Und dann zielte er nicht mehr nur nach unten. Er warf seine Steine in alle Richtungen.
    Ein dicker Brocken stieg steil in die Höhe, traf die Felsnase über der Höhle und prallte ab. Myriam sah ihn aus den Augenwinkeln direkt auf sich zukommen. Er wurde größer, gefährlicher – und traf!
    Der Stein zerquetschte das krabbelnde Insekt auf der Nasenwurzel des gelähmten Mädchens. Er prallte gegen ihre Stirn, warf sie zurück, und ein plötzlicher, unerwartet aufzuckender Schmerz riß sie aus ihrer Starre. Ein lange aufgestauter Schrei brach aus ihr hervor. Er gellte schrill und anhaltend über das schmutziggrüne Meer. Schmerz, Angst und Verzweiflung schwangen in ihm mit.
    Myriam Roos schrie noch, als sie bereits das Bewußtsein verloren hatte. Ihre Lungen preßten alles heraus, was sich seit der Ankunft auf der fremden Welt in ihr angestaut hatte.
    *
    Roby Dumont schüttelte sich. Er sog keuchend die Luft in seine Lungen. Behutsam atmete er ein. Er brauchte nicht lange, bis er herausfand, daß ihm eine Rückenrippe gebrochen war.
    Grünholzfraktur. Schmerzhaft, unangenehm, aber nicht lebensgefährlich. Er überdachte seine veränderten Chancen. Jetzt würde er zwar nicht ertrinken, aber die Alternative sah nicht viel besser aus.
    Er versuchte seine Arme zu bewegen. Den rechten Arm bekam er nur bis in Brusthöhe. Jedes Mehr schmerzte unerträglich unter dem Schulterblatt.
    Entschlossen setzte er sich auf.
    Er stöhnte. Die Bewegung war zu heftig gewesen. Farbige Schleier pulsierten vor seinen Augen. Er bemühte sich, flach und langsam zu atmen.
    Die Sache mit dem Coater, der ihm freundlicherweise eine passende Hose gebracht hatte, war von ihm vorläufig hingenommen worden. Es brachte nichts ein, gleichzeitig alle Rätsel lösen zu wollen. Diese Erfahrung hatte er während seiner Zeit bei der Royal Air Force gemacht. Damals hatte er gelernt, daß zu viele Fragen auf einmal bei Vorgesetzten nur ein Brauenrunzeln zur Folge hatten.
    »Wer sich über ungelegte Eier den Kopf zerbricht, brütet nie eins aus«, pflegte sein erster Sergeant in solchen Fällen zu sagen. So banal derartige Weisheiten damals geklungen hatten, jetzt halfen sie ihm.
    Unwillkürlich blickte er nach oben. Erst jetzt merkte er, was ihn aus seiner Ohnmacht geweckt hatte.
    Er sträubte sich gegen das, was er ganz deutlich hörte: Dort oben schrie eine Frau!
    Seine Augen suchten nach dem Mann, der ihn mit Steinen beworfen hatte. Er entdeckte ihn auch nach längerem Suchen nicht. Und dann verstummte der gellende Schrei.
    Die plötzliche Stille beunruhigte Dumont. Kurzentschlossen arbeitete er sich den schrägen Lavahang hinauf. Das warme Gestein war glatt und unangenehm. Dumont konnte sich nur gebückt aufwärts bewegen. Er stützte sich mit dem linken Arm ab.
    Nach den ersten fünfzig Metern begann er zu schnaufen. Der Aufstieg war schwieriger, als er gedacht hatte. Dabei schossen ihm unentwegt neue Gedanken durch den Kopf. Die Hose, der Mann und der Schrei paßten irgendwie

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