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Befehl von oben

Befehl von oben

Titel: Befehl von oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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Vielleicht waren die elektrochemischen Vorgänge überlastet, oder vielleicht gab es eine editierende Funktion im Gehirn. Der Körper wußte, was los war, daß die Zeit zu kämpfen zu Ende war, und da das Nervensystem Schmerzen als eine Art Warnsystem einsetzte, war, wenn die Zeit zum Warnen abgelaufen war, auch die Zeit für die Schmerzen abgelaufen. Oder vielleicht war das alles nur reine Spekulation. Vielleicht war ihr Körper einfach nur zu sehr zerstört, um auf etwas zu reagieren. Gewiß hatte sie ihr intraokulares Bluten erblinden lassen. Die Nadel von der letzten Bluttransfusion war herausgerutscht, so zerstört waren ihre Venen jetzt, und sie blutete an dieser Stelle wie an so vielen anderen. Nur der Morphiumtropf hielt noch, deren Nadel mit Pflaster festgeklebt war. Das Herz bekam nicht genug Blut, und indem es sich bemühte, den verbleibenden Rest immer schneller durch den Körper zu pumpen, erschöpfte es sich mit der Zeit.
    Jean Baptiste gab immer noch Geräusche – schwer zu hören durch den Racal-Anzug – von sich, ein gelegentliches Gewimmer, und aufgrund der Zeitabstände fragte sich der Arzt, ob das Gebete sein mochten.
    Ihrer geistigen Gesundheit zusammen mit ihrem Leben beraubt, war das einzige, das noch in ihr verblieben war, die endlosen Stunden des Gebets, die Disziplin, die ihr Leben bestimmt hatte, und sie würde in ihrer Umnachtung wiederkehren, weil ihr Verstand sonst nichts mehr hatte, wohin er konnte. Die Patientin räusperte sich, dann würgte es sie regelrecht, und schließlich murmelte sie etwas klarer, und Moudi beugte den Kopf hinunter und horchte.
    »… Mutter Gottes, bete für uns Sünder …«
    Ach das. Ja, das mußte ihr Lieblingsgebet sein.
    »Kämpfen Sie nicht mehr, meine Dame«, sagte ihr Moudi. »Es ist Zeit. Kämpfen Sie nicht mehr.«
    Die Augen veränderten sich. Obwohl sie nichts sehen konnte, drehte sie den Kopf und starrte ihn an. Das war ein unwillkürlicher Reflex, wußte der Arzt. Blind oder nicht, Jahre der Praxis sagten den Muskeln, was sie zu tun hatten. Instinktiv wandte sich das Gesicht der Schallquelle zu, und die Augen – die Muskeln arbeiteten noch – peilten in die entsprechende Richtung.
    »Dr. Moudi? Sind Sie es?« Die Worte kamen ganz langsam und keineswegs deutlich, aber doch zu verstehen.
    »Ja, Schwester. Ich bin hier.« Automatisch berührte er ihre Hand, und dann war er verblüfft. Sie war dennoch bei klarem Verstand?
    »Danke, daß Sie mir … geholfen haben. Ich werde für Sie beten.«
    Das würde sie. Das wußte er. Erneut drückte er ihr die Hand, und mit der anderen drehte er den Morphiumtropf weiter auf. Genug war genug.
    Sie konnten kein Blut weiter in sie hineinfüllen, um mit den Viren überschwemmt zu werden. Er sah sich im Raum um. Beide Sanitäter saßen in der Ecke, sehr zufrieden damit, daß der Doktor bei der Patientin stand. Er ging zu ihnen hin und zeigte auf einen.
    »Sagen Sie dem Direktor – bald.«
    »Sofort.« Der Mann war froh, das Zimmer verlassen zu können.
    Moudi zählte bis zehn, bis er zum anderen sprach.
    »Frische Handschuhe bitte.« Er hielt die Hände hoch, um ihm zu zeigen, daß auch er sie nicht gern berührte. Auch dieser Sanitäter ging.
    Moudi rechnete mit einer Minute.
    Auf dem Medikamententisch in der Ecke war alles, was er brauchte.
    Er nahm eine 20-cc-Injektionsspritze aus ihrer Halterung, stach damit in die Morphiumampulle und zog den Plastikzylinder restlos voll. Dann ging er wieder ans Bett, zog die Plastikdecke zurück und suchte … da.
    Der Rücken ihrer linken Hand. Er nahm sie in seine Hand und stach die Nadel hinein und drückte fast noch im selben Moment den Kolben hinunter.
    »Damit Sie besser schlafen können«, sagte er zu ihr und war schon wieder auf dem Weg. Er nahm sich nicht die Zeit zu sehen, ob sie auf seine Worte reagierte. Die Spritze wanderte in den für scharfe und spitze Sachen vorgesehenen roten Plastikbehälter, und als der Sanitäter mit den neuen Handschuhen wiederkam, war alles wie zuvor.
    »Hier!«
    Moudi nickte und streifte die Überhandschuhe ab in den für sie vorgesehenen Abfallcontainer. Dann zog er die neuen über. Wieder am Bett, sah er, wie die Augen sich zum letztenmal schlossen. Die EKG-Anzeige gab ihre Herzfrequenz bei knapp über eins-vierzig wieder, die spitzen Linien kürzer, als sie sein sollten, und unregelmäßig verteilt. Nur noch eine Frage der Zeit. Vermutlich betete sie sich in den Schlaf, dachte er, und träumte Gebete. Na, wenigstens konnte

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