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Befehl von oben

Befehl von oben

Titel: Befehl von oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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beide Parteien. Da fiel ihm ein, daß wichtige Spender sowieso beiden Parteien Geld gaben, um sich gegen Verluste abzusichern durch Zugang zur Macht, egal, wer drankam.
    Wahrscheinlich tüftelten sie schon daran herum, wie sie für seine Kampagne Geld spenden könnten.
    »Vielen Dank für diese Einleitung, Gouverneur.« Ryan wandte sich an die Menschen neben ihm auf der Bühne. Er las ihre Namen von der Liste auf der ersten Seite seiner Rede ab, gute Freunde, die er nach diesem einen Mal nie mehr sehen würde, deren Gesichter ganz einfach deswegen aufleuchteten, weil er ihre Namen in der korrekten Reihenfolge nannte.
    »Ladies and Gentlemen, ich bin noch nie in Indiana gewesen. Das ist mein erster Besuch im Hoosier-Staat. Aber nach dem Empfang, den Sie mir hier bereiten, wird es hoffentlich nicht der letzte sein …«
    Es war so, als hätte jemand bei einer Fernsehshow die APPLAUS-Tafel hochgehoben. Er hatte eben die Wahrheit gesprochen, gefolgt von etwas, was vielleicht eine Lüge war oder vielleicht auch nicht, und obwohl sie es wissen mußten, scherten sie sich keinen Deut darum. Und dann lernte Jack Ryan erstmals etwas sehr Bedeutungsvolles kennen.
    Mein Gott, das ist wie ein Rauschmittel, dachte Jack und verstand mit einemmal, warum Leute in die Politik gingen. Kein Mensch konnte hier stehen, den Lärm hören, die Gesichter sehen und den Augenblick nicht genießen. Es übertönte das Lampenfieber, das überwältigende Gefühl, nicht hierherzugehören. Da war er, vor viertausend Leuten, alle Mitbürger, vor dem Gesetz ihm gleich, aber in ihren Gedanken war er etwas ganz anderes. Er war die Vereinigten Staaten von Amerika. Er war ihr Präsident, er war die Verkörperung ihrer Hoffnungen, ihrer Sehnsüchte, Abbild ihrer Nation, und deswegen waren sie bereit, diesen Unbekannten zu lieben, jedes Wort zu bejubeln und sich für einen kurzen Augenblick weiszumachen, er hätte direkt in jedes einzelne Augenpaar geblickt, so daß der Augenblick für immer etwas ganz Besonderes, Unvergeßliches werden würde. Es war eine Macht, von deren Vorhandensein er vorher nichts gewußt hatte. Über diese Menge konnte er verfügen. Deswegen widmeten Menschen ihr Leben dem Streben nach der Präsidentschaft, um darin zu baden wie in einer warmen Ozeanwelle, in einem Augenblick höchster Vollkommenheit.
    Aber warum hielten sie ihn für so besonders? Was machte ihn in ihren Augen dazu? fragte sich Ryan. Bei ihm war es reiner Zufall, und in jedem anderen Fall hatten sie ja die Wahl getroffen, den Mann auf die Rednerbühne gehievt. Es lag alles an der Wahrnehmung. Ryan war noch derselbe, der er einen Monat oder ein Jahr zuvor gewesen war. Er hatte sich ein bißchen mehr Wissen, aber nicht sehr viel Weisheit angeeignet.
    Er war die gleiche Person, nur mit einem anderen Job, und während die Insignien des neuen Postens ihn umgaben, war die Person innerhalb des Schutzrings der Bodyguards, die Person, die von einer Flut nie gesuchter Zuneigung umgeben war, lediglich das, was Eltern, die Kindheit, die Erziehung und Erfahrung daraus gemacht hatten. Sie hielten ihn für anders und besonders und vielleicht sogar groß, aber das war Wahrnehmung, nicht Realität. Real waren in diesem Augenblick die schweißigen Hände und das gepanzerte Rednerpult, die von fremder Hand geschriebene Rede und der Mann, der wußte, daß er nicht hierhergehörte.
    Was mach' ich denn jetzt? fragte sich der Präsident der Vereinigten Staaten, während sich seine Gedanken im abebbenden Applaus jagten. Er würde nie der sein, für den sie ihn hielten. Er war ein guter Mensch, dachte er, aber kein großer, und die Präsidentschaft war ein Job, ein Posten, ein Regierungsamt, das von James Madison festgelegte Pflichten umfaßte. Er mußte sie sich gewinnen, damit die Mienen der hier Versammelten zu etwas anderem als einer Lüge wurden, denn mit der Verleihung von Macht vergaben sie auch Verantwortung, und für das Geschenk der Liebe verlangten sie Hingabe. Ernüchtert blickte Jack auf die Glasscheibe, auf der sich der Text seiner Rede spiegelte, holte tief Luft und fing so zu reden an, wie er es als Geschichtsdozent in Annapolis getan hatte.
    »Ich bin heute hier, um vor Ihnen über Amerika zu reden …«
    Unterhalb des Präsidenten standen fünf Geheimdienstagenten, deren Sonnenbrillen die Augen abschirmten, damit das Publikum nicht erraten konnte, wohin sie schauten, und weil das Menschen einschüchterte.
    Während sie die Menge musterten, standen sie über ihre

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