Befehl von oben
Hände wußten, was sie zu tun hatten. Sie kannten ihre Aufgabe und verstanden nicht, warum sie sie nicht erledigten, warum der Verstand, der ihnen befahl, ihnen noch nicht die Freigabe erteilt hatte. Aber seine Hände mußten sich in Geduld fassen. Das hier betraf den Verstand.
Der Täter riß Katie Ryan an den Armen hoch, und sie schrie auf.
O'Day fiel sein erster Gruppenleiter ein, beim ersten Kidnappingfall, Dom DiNapoli, der große, zähe Genuese, der weinte, als er das Kind der Familie zurückgebracht hatte: »Vergiß nie, sie sind alle unsere Kinder.«
Sie hätten genauso leicht Megan herauspicken können, sie waren ja so nah – und dieser Gedanke überwältigte ihn fast, als derjenige, der SANDBOX hatte, wieder auf das Foto und dann zu Pat O'Day herüber blickte.
»Wer sind Sie?« wollte die Stimme wissen, während sein Partner vor zunehmenden Schmerzen stöhnte.
»Was meinste?« fragte der Inspektor nervös. Stell dich blöd und verängstigt.
»Wessen Kind ist das?« Er wies auf Megan.
»Meins, okay? Ich weiß nicht, wem die da gehört«, log der FBI-Agent.
»Ist sie diejenige, die wir wollen, das Kind des Präsidenten, ja?«
»Wie zum Teufel soll ich das wissen? Meine Frau holt Megan sonst ab, nicht ich. Macht, was ihr vorhabt, und verschwindet dann verdammt noch mal von hier, okay?«
»Sie da drinnen«, drang eine weibliche Stimme von draußen herein.
»Hier ist der Secret Service der Vereinigten Staaten. Kommen Sie heraus. Ihnen wird nichts geschehen, wenn Sie das tun. Sie können sonst nirgendwohin. Kommen Sie dort heraus, und Ihnen wird nichts geschehen.«
»Das is 'n guter Rat, Mann«, sagte ihm Pat. »Hier kommt niemand raus, wissen Sie?«
»Wissen Sie, wer dieses Mädchen ist? Sie ist Tochter Ihres Präsidenten Ryan! Sie werden sich nicht trauen, auf mich zu schießen!« verkündete der Täter. Sein Englisch war recht gut, fiel O'Day auf, der dazu nur nickte.
»Was ist mit all den anderen Kindern, Mann? Das hier ist das einzige, das Sie wollen, das ist das einzige, das zählt – he, warum, wissen Sie, ähm, lassen Sie nicht 'n paar raus, hm?«
Der Mann hatte zum Teil recht. Die Leute vom Geheimdienst würden nicht auf ein Ziel schießen, aus Angst, daß noch jemand hier drinnen wäre, wie es ja auch tatsächlich der Fall war. Dieser jemand hatte sein Gewehr auf Pats Brust gerichtet. Und sie waren schlau genug, daß sie nie weniger als einen Meter Abstand zwischen sich ließen. Um sie zu erschießen, bedurfte es zweier getrennter Bewegungen.
Was O'Day echt erschreckte, war die beiläufige, reflexartige Weise, mit der er Marlene Daggett umgebracht hatte. Ihnen war alles ganz einfach scheißegal. Diese Sorte von Kriminellen war nicht einzuschätzen. Möglicherweise ließ sich mit denen reden, ließen sie sich beruhigen, ablenken, aber darüber hinaus gab es nur einen Weg, mit ihnen umzugehen.
»Wir geben ihnen Kinder, sie geben uns Auto, ja?«
»He, das geht für mich klar, okay? Ich glaube, das ist ganz recht so. Ich möchte meine Tochter heute abend bloß heimbringen, wissen Sie?«
»Ja, passen Sie gut auf Ihre Kleine auf. Bleiben Sie sitzen.«
»Kein Problem.« Er entspannte die Hände, brachte sie näher an seine Brust, direkt ans Ende des Reißverschlusses seiner Jacke. Wenn er den aufzog, würde sich das Leder besser legen und seine Waffe verbergen.
»Achtung«, rief die Stimme wieder. »Wir möchten reden.«
Cathy Ryan kam zu ihren Kindern in den Hubschrauber. Die Gesichter der Agenten waren grimmig genug. Sally und Jack überwanden gerade den ersten Schock, schluchzten nun und blickten trostsuchend zu ihrer Mutter auf, als der Black Hawk wieder in den Himmel aufstieg und südwestlich auf Washington zuhielt. Ein weiterer Heli folgte. Der Pilot, sah sie, nahm nicht die übliche Route, sondern flog direkt nach Westen, weg von dort, wo Katie war. Da brach auch SURGEON in den Armen ihrer Kinder zusammen.
»O'Day ist da drin«, sagte ihr Jeffers.
»Sicher, Norm?«
»Das ist sein Transporter. Ich hab' ihn reingehen sehen, direkt bevor das losging.«
»Scheiße«, fluchte Price. »Das ist wahrscheinlich der Schuß, den wir gehört haben.«
»Jo.« Jeffers nickte grimmig.
Der Präsident war im Lagezentrum, dem besten Platz, um über die Dinge auf dem laufenden zu bleiben. Er hätte vielleicht woanders sein können, aber er war nicht Präsident genug, um so zu tun …
»Jack?« Das war Robby Jackson. Ihre Freundschaft reichte schon viel länger zurück, und so umarmten
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