Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)
sparsame Ergänzung, also in deutlich reduzierten Quantitäten und innerhalb der oben genannten materiellen Grenzen.
Eine Abkehr von der allgegenwärtigen Manie, die Arbeitsproduktivität mittels energieumwandelnder Technologien um jeden Preis zu steigern, hat noch eine weitere Bedeutung. Mit der Arbeitsproduktivität steigt auch das mindestens erforderliche Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, welches nötig ist, um eine bestimmte Anzahl von Arbeitskräften weiterhin beschäftigen zu können. Denn es sind dann weniger Arbeitskräfte nötig, um den bisherigen Output zu produzieren. Arbeit sparender technischer Fortschritt wird also zu einem sozialen Wachstumstreiber, es sei denn, die durchschnittliche Arbeitszeit wird reduziert, so dass alle Beschäftigten statt wie bisher circa 40 nur noch 30 oder langfristig 20 Stunden arbeiten. Unter dieser Bedingung könnte dieselbe Anzahl an Arbeitnehmern auch ohne Wachstum beschäftigt bleiben.
Die andere Möglichkeit, das Dilemma zu lösen, bestünde darin, die Arbeitsproduktivität eben nicht weiter zu erhöhen, sondern sogar punktuell zu senken. Dies gelänge durch einen geringeren Grad an Spezialisierung und die erwähnten mittleren Technologien, sodass anstelle von Energiesklaven mehr handwerkliche und manuelle Arbeitsleistung genutzt würde. Dies ginge mit einer Verkürzung von Wertschöpfungsketten einher. Ganz gleich, wie die beiden Auswege kombiniert werden, um eine plünderungsfreie Versorgung zu gewährleisten: Art und Umfang des derzeitigen Wohlstandes ließen sich nicht aufrechterhalten.
Wäre es denkbar, eine erheblich reduzierte Industrieproduktion mit arbeitsintensiven Verrichtungen so zu verknüpfen, dass kein »Rückfall ins Mittelalter« erfolgt, sondern technisch komplexe Güter weiter verfügbar sind? Dies könnte folgendermaßen gelingen: Handwerkliche und manuelle Tätigkeiten müssen nicht notwendigerweise innerhalb industrieller Prozesse zum Einsatz gelangen oder diese (teilweise) ersetzen. Sie könnten stattdessen im Anschluss an die eigentliche Produktion dazu beitragen, dass die Güter länger genutzt und ausgeschöpft werden. Mittels eigener Instandhaltungs-, Pflege- und Reparaturmaßnahmen ließe sich die Nutzungsdauer der Produkte verlängern. So könnte eine verringerte Produktionsmenge durch ergänzende handwerkliche Leistungen »gestreckt« werden – und zwar eigenhändig von den Nutzern (Näheres hierzu und zum Folgenden siehe Kapitel VI).
Zusätzlich könnte eine verstärkte Gemeinschaftsnutzung dafür sorgen, dass eine verringerte Anzahl von Gebrauchsgegenständen den Bedarf möglichst vieler Menschen befriedigt. Warum soll ein Rasenmäher nicht für zehn Haushalte reichen? Auch diese Art der produktionslosen Bedürfnisbefriedigung könnte von den Nutzern selbst organisiert werden – anstatt gleich wieder irgendeine marktfähige Dienstleistung daraus zu stricken. Ergänzend dazu ließe sich die oben angesprochene Sesshaftigkeit auch als ökonomisches Konzept verankern, indem die Güterversorgung vorrangig lokal und regional erfolgt. Dies wären erste Schritte zur Rückbindung maßlos entgrenzter Bedarfe, nämlich an die eigenen Leistungen und an ein nicht beliebig vermehrbares Quantum gegenwärtig verfügbarer Ressourcen. Natürlich wären weitere Vorkehrungen notwendig, um die Ausdehnung leistungsloser Ansprüche und Einkommen zu regulieren.
Alle Praktiken, welche dazu verhelfen, materiell über seine Verhältnisse zu leben, schmälern auf einem endlichen Planeten die Möglichkeiten anderswo oder in der Zukunft lebender Menschen. Wenn »Ausbeutung« darin besteht, sich materielle Werte anzueignen, die in keiner reziproken Beziehung zur eigenen Leistung stehen, dann ist sie keineswegs Unternehmen vorbehalten, wie der Marxismus suggeriert. Konsum ist ein mindestens so gutes Ausbeutungsinstrument, zumal entgrenzter materieller Wohlstand nur aus ökologischer Plünderung entstehen kann. Aber nicht nur aus diesem Grund liegt es nahe, sich mit dieser spezifischen Versorgungspraktik näher zu beschäftigen.
Kapitel III
Freiheit als Illusion – neue Abhängigkeiten
Die perfekte Synthese von zeitlicher, räumlicher und körperlicher Entgrenzung besteht darin, sich ausschließlich konsumtiv zu versorgen. Dies setzt auf der Angebotsseite eine entsprechend leistungsfähige industrielle Arbeitsteilung voraus. Konsumierende Individuen müssen sich in dieses System einfügen, indem sie sich auf Verrichtungen spezialisieren, die nicht eigener
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