Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)
unter dem Vorbehalt, das geldbasierte Wohlstandsmodell nicht anzutasten.
Landläufige Kapitalismuskritik vermag dieses Phänomen nicht zu erfassen, denn marxistisch grundierten Zukunftsentwürfen wohnt dasselbe auf komfortabler Fremdversorgung beruhende Freiheits- und Fortschrittsideal inne. Sowohl die immense soziale Fallhöhe, als auch die ruinösen Entgrenzungstendenzen lassen sich nicht dadurch beseitigen, dass der durch Ressourcenplünderung erzeugte Output einfach nur gerechter verteilt wird oder die Eigentumsverhältnisse verändert werden. Seine Existenz als solche wäre zu hinterfragen, zumindest sein quantitatives Ausmaß. Wenn wir den Rückbau überzogener Ansprüche nicht selbst vornehmen, werden schicksalhafte Umstände den Job übernehmen – aber nicht mit Samthandschuhen.
»Peak Everything«: Konsumgesellschaften verlieren ihre materiellen Grundlagen
Die auf permanenter Konsum- und Mobilitätssteigerung basierende Ökonomie moderner Gesellschaften weist eine Achillesferse auf. Sie betrifft den Aufwand an notwendigen Inputs, bei denen es sich um fossile Energieträger – in erster Linie Rohöl – und viele andere Ressourcen handelt. Mittlerweile vollzieht sich in etlichen ehemaligen Entwicklungsländern eine »Konsumrevolution«. Die Entstehung einer globalen Mittelschicht, erweitert um mehr als 1,1 Milliarden »neue Konsumenten«, treibt durch eine zusätzlich induzierte Güternachfrage die Rohstoffpreise nach oben. Gerade weil die Versorgung auf immer längeren Lieferketten beruht, baumelt das nördliche Konsummodell schicksalhaft an den dünnen Fäden der Versorgung mit billigem Öl. Aber nun nähert sich das irdische Fördermaximum und wird in absehbarer Zeit erreicht; vielleicht ist dieser »Peak Oil« aber auch bereits überschritten? Jüngst ließ jedenfalls Fatih Birol, Chefökonom der diesbezüglich chronisch optimistischen Internationalen Energieagentur (IEA), verlauten, dass wir an Ölquellen vier neue Saudi Arabien entdecken müssten, um das derzeitige Erdölangebot aufrechterhalten zu können.
Entscheidend ist dabei nicht, ob die absoluten Fördermengen sinken, sondern um wie viel höher die Nachfrage ist. Infolge der nachholenden Entwicklung in den Schwellenländern trifft eine explodierende Nachfrage auf ein stagnierendes Angebot. Dies entfacht absehbar eine Preisdynamik, welche zur Erosion der ökonomischen Basis weiteren Wachstums beiträgt. Die Möglichkeit, dass der Preis für ein Barrel Rohöl in näherer Zukunft auf über 200 US-Dollar steigt, wird mittlerweile selbst von der IEA nicht mehr ausgeschlossen. Und was dann?
Im Jahr 2010 sorgte eine Studie der Bundeswehr für Furore, welche die ökonomischen Folgen des Peak Oil-Phänomens auf den Punkt bringt. Von »ökonomischen Tipping Points« und »Kettenreaktionen«, die das Weltwirtschaftssystem destabilisieren, ist darin zu lesen. Mittelfristig breche das globale Wirtschaftssystem und jede marktwirtschaftlich organisierte Volkswirtschaft zusammen. Ein Systemkollaps sei unumgänglich. Angesichts seines Globalisierungsgradesresultiere daraus für Deutschland auch unabhängig von der eigenen Energiepolitik ein hohes Risiko. Kein Wunder: Wenn die physische Herstellung eines immer größeren Teils unserer Konsumgüter in China, Indien und Co. erfolgt, wäre die brenzlige Erdölabhängigkeit nicht einmal dadurch zu bändigen, dass hierzulande die Blütenträume einer Energiewende umgesetzt würden.
Inzwischen mausert sich »Peak Oil« längst zum »Peak Everything«. Neben knappen Ressourcen wie beispielsweise Lithium für Akkus und Coltan für Handys tauchen Seltene Erden in immer mehr Produkten auf, die aus unserem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken sind und von deren massenhafter Vermarktung sich moderne Ökonomien längst abhängig gemacht haben. Der Nachfragezuwachs ist auf innovative, zuweilen sogar »grüne« Technologien zurückzuführen. Mobiltelefone, Computer und Flachbildschirme können ohne Seltene Erden ebenso wenig hergestellt werden wie LED-Lampen, Elektro- und Hybridautos. Derartige Fahrzeuge sind ähnlich wie manche Windanlagen von Neodym abhängig, etwa für die Produktion von Permanentmagneten. Ein Hybridfahrzeug enthält bis zu zwölf Kilogramm Seltene Erden. Bei hinreichendem Fremdversorgungsgrad existiert kein gesellschaftliches Teilsystem, Produkt und Infrastrukturelement, welches nicht wenigstens indirekt von fossilen Energieträgern, Seltenen Erden oder knappen Metallen abhängig ist.
Die
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