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Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)

Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)

Titel: Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niko Paech
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Mathematiker schmachvoller sein, als an der Kasse von Lidl zu landen? Indem die brachiale Aufblähung des Bildungssektors damit begründet wird, gerechtere Teilhabemöglichkeiten zu schaffen, wird sein hierarchischer Charakter nur bestätigt. Andere Daseinsformen, die auf praktischer oder bescheidener Lebenskunst beruhen, gar handwerkliche Kompetenzen voraussetzen, werden als »bildungsfern« diskreditiert.

Zwischenfazit: Die Rückkehr zur Sesshaftigkeit und zum menschlichen Maß
    Durch die vorangegangenen Ausführungen sollte vor allem folgende These untermauert werden: Die enormen Steigerungen des materiellen Wohlstandes seit Beginn der Industrialisierung beruhen allein auf ökologischer Plünderung. Der Mythos vom Effizienzfortschritt oder anderen Ausprägungen menschlicher Schaffenskraft, mit denen das Wachstum an Gütern, Mobilität und Komfort angeblich »erarbeitet« wurde oder als »Verdienst« für eigene Leistungen zu legitimieren wäre, sind abstrus. Technische Innovationen und neues Wissen mögen die Wohlstandsentwicklung entscheidend geprägt haben. Aber bei genauerem Hinsehen entpuppt sich dieser »Fortschritt« lediglich als effektiver Hebel, der dazu befähigt, sich mit minimalem eigenem physischem Einsatz ein zunehmendes Quantum an physischen Leistungen anzueignen. Dieses wachsende Missverhältnis spiegelt eine dreifache Entgrenzung materieller Ansprüche wieder, nämlich zum einen von den eigenen körperlichen Fähigkeiten (mit Hilfe ganzer Heerscharen von Energiesklaven), von den in unmittelbarer Reichweite vorhandenen Ressourcen (mit Hilfe globaler Wertschöpfungsketten) und von den Möglichkeiten der Gegenwart (mit Hilfe von Verschuldung).
    Die logische Konsequenz bestünde in der Rückkehr zum »menschlichen Maß« – so drückten sich Leopold Kohr und Friedrich Schumacher seinerzeit aus – als Synonym für die Einhegung körperlicher, räumlicher und zeitlicher Entgrenzung. Unausweichlich wird damit die Frage, innerhalb welcher materiellen Grenzen sich individuelle Selbstverwirklichung so entfalten könnte, dass sie verantwortbar ist. Das naheliegende Kriterium der physischen und zeitlichen Übertragbarkeit eines Lebensstils erinnert an den kategorischen Imperativ Immanuel Kants. Demnach dürfte jeder Mensch durchschnittlich ein Quantum an ökologischen Ressourcen verbrauchen, von dem sich sagen lässt, dass dann, wenn alle anderen Erdbewohner sich ähnlich verhalten, die irdische Tragekapazität dauerhaft erhalten werden kann. So angreifbar diese Gerechtigkeitsvorstellung auch sein mag, alle Alternativen dürften sich nur noch schwieriger begründen, geschweige denn den Menschen in Asien, Afrika oder Lateinamerika vermitteln lassen. Würde diese Logik auf den Klimaschutz angewandt, ergäbe sich nach Auffassung des Wissenschaftlichen Beirates für Globale Umweltveränderungen (WBGU) eine individuelle CO 2 -Menge von circa 2,7 Tonnen pro Jahr, zumindest bei einer Weltbevölkerung von sieben Milliarden Menschen. Nur so, wenn überhaupt noch, ließe sich das Zwei-Grad-Klimaschutzziel der EU erreichen.
    Die Orientierung am menschlichen Maß als Antwort auf einen entgrenzten Aktionsradius bedeutet zugleich eine Rückkehr zur Sesshaftigkeit. Denn ein CO 2 -Budget von 2,7 Tonnen lässt keine großen Sprünge zu. Die überhandnehmende globale Mobilität wäre damit genauso unvereinbar wie eine Aneignung von Gütern, zu deren Erzeugung entfernt liegende Ressourcenquellen und Flächen ausgeschöpft werden. Eine ökologische Wiedereinbettung der Güterproduktion setzt nicht nur verkürzte Wertschöpfungsketten voraus (also eine geringere Distanz zwischen Verbrauch und Herstellung), sondern auch Technologien mit kürzerer Reichweite. Friedrich Schumacher und Leopold Kohr haben den Begriff der »mittleren Technologie« geprägt. Von Ivan Illich stammt das Konzept der »konvivialen Technologie«. Grob vereinfacht handelt es sich dabei um Hilfsmittel, welche zwar die Produktivität menschlicher Arbeitskraft erhöhen, diese aber nicht er setzen. Fahrräder, mechanische Nähmaschinen, ökologischer Landbau, Angelruten, mechanische Rasenmäher, Handwerkszeuge, Mehrwegverpackungen, Segelschiffe, reparable Holz- und Metallprodukte etc. sind nur einige Beispiele für Technologien bzw. Designs, die vergleichsweise arbeitsintensiv sind, dafür aber umso weniger Energieträger, Fläche und Kapitel benötigen. Natürlich wären weiterhin Industrieprodukte und konventionelle Verkehrsmittel nötig, aber nur als

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