Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)
Entfesselung ungeheurer Kaufkraftzuwächse infolge weltweit verzweigter, Kostendifferenzen abschöpfender Herstellungsketten wird folglich mit einer nie dagewesenen Instabilität erkauft. Fremdversorgungsabhängigkeit maximiert das Risiko des sozialen Absturzes, etwa wenn Arbeitsplätze wegfallen, hohe Preise die Kaufkraft senken oder die externe Zufuhr lebensnotwendiger oder kritischer Inputs ausbleibt. Die kommenden Finanz- und Verschuldungskrisen erledigen ein Übriges. Deshalb lässt sich der Nachhaltigkeitsbegriff zusehends als Anforderung an erhöhte »Resilienz« auslegen. Dies sind Vorkehrungen, die den absehbaren Aufprall dämpfen. Auch aus dieser Perspektive zeigt sich, dass der Rückbau des maßlos gewordenen Fremdversorgungsniveaus die letzte Option ist, die uns noch bleibt. Nur so lässt sich die inzwischen erreichte soziale Fallhöhe verringern.
Kapitel IV
Mythos Entkopplung –
die Mär vom
»grünen Wachstum«
Noch ist der überwiegende Teil der Menschheit nicht so weit, die naheliegenden Konsequenzen aus den Verwerfungen des industriellen Fremdversorgungssystems zu ziehen. Natürlich ist es schwer, sich von lieb gewonnenen »Errungenschaften« zu trennen, deren Unverantwortbarkeit über Jahrzehnte hinweg mit Vorstellungen von Fortschritt und Freiheit übertüncht wurde. Und nun sind wir abhängig, weil wir jede Übung verloren haben, es anders zu machen. Gäbe es einen unbeteiligten Beobachter, der dieses Schauspiel aus dem All verfolgt, so müsste er die Frage stellen, ob moderne Konsumgesellschaften überhaupt noch reformfähig oder nicht längst schon therapiebedürftig sind. Dummerweise haben wir keine Therapeuten. Ganz im Gegenteil sind wir einem Trommelfeuer von Durchhalteparolen ausgesetzt. Ihr verlockender Tenor besteht darin, uns die beste aller Welten zu versprechen.
So erzählen uns Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft unbeirrt das Märchen vom »qualitativen«, »entkoppelten« oder »de-materialisierten« Wachstum. Manche nennen diese Zauberkunst auch »grünes Wachstum«, »Green New Deal« oder »dritte industrielle Revolution«. Innovationen in Form nachhaltiger Produkte, Technologien und Infrastrukturen sollen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Einerseits wird die Ökologie geschützt, andererseits soll niemandem eine Zurückstellung seiner/ihrer Selbstverwirklichungsansprüche oder Gewinnaussichten zugemutet werden. Das Ganze mutet wie eine magische Diät für Übergewichtige an. »Friss das Doppelte – und nimm ab dabei!« Solange die Hoffnung, dass ökonomisches Wachstum bei hinreichend innovativen Technikentwicklungen von Ressourcenverbräuchen und Umweltschäden entkoppelt werden kann, nicht als Schimäre entlarvt ist, besteht für die Akzeptanz geschweige denn Durchsetzbarkeit wachstumskritischer Positionen nicht der Hauch einer Chance.
Das Konzept einer auf klugen Innovationen beruhenden Vereinbarkeit von Umweltschutz und permanenter ökonomischer Expansion kennt zwei Ausprägungen. Zum einen soll die stoffliche Entkopplung unseres Wohlstands mittels erhöhter Ressourcenproduktivität und Effizienz erreicht werden. Hier geht es also um die Reduktion des Inputs, den wir vorn in die Wohlstandsmaschine hineinstecken, um ein bestimmtes Ergebnis zu erhalten. So wäre beispielsweise ein Drei-Liter-Auto um den Faktor zwei effizienter als ein Sechs-Liter-Auto oder ein Passivhaus um den Faktor fünf bis sieben effizienter als ein normales Einfamilienhaus. In beiden Fällen wird weder den Nutzern noch der Wirtschaft irgendetwas zugemutet, denn der Konsum bzw. die Mobilität und die Produktion können ungestört weiter wachsen. Es werden nur die Objekte ausgetauscht.
Die andere Spielart der Entkopplung besteht in geschlossenen Stoffkreisläufen und regenerativen Energien. Dieses Prinzip wird als ökologische Konsistenz bezeichnet. Es beruht darauf, die Arbeitsweise der Ökosphäre zu kopieren, also die Qualität der verwendeten Materialien und Energieträger so anzupassen, dass diese niemals Schäden verursachen, sondern vollständig in ökologische Kreisläufe eingebunden sind. Kompostierbare T-Shirts und Verpackungen zählen ebenso dazu wie essbare Flugzeugsitze oder Computer, die niemals zu Abfall werden, weil sämtliche Bestandteile wiederverwendbar sind.
Ein weiteres Flaggschiff dieser Variante der ökologischen Modernisierung sind die erneuerbaren Energien. Diesen wird nach offizieller Lesart zugetraut, unser energieträchtiges Wohlstandsmodell
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