Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)
vollständig zu erhalten und zugleich die Umwelt, insbesondere das Klima, zu entlasten.
Allerdings ist dieses Rundherum-Sorglos-Versprechen trotz intensivster Fortschrittsbemühungen bislang nicht nur auf spektakuläre Weise gescheitert, sondern hat sogar speziell im Energiebereich zu manchen Verschlimmbesserungen geführt. Und dies liegt nicht an zufälligen Missgeschicken, die prinzipiell vermeidbar wären, sondern hat systematische Gründe. Die trotz alledem hartnäckig beschworene These, wonach eine ökologische Neutralisierung industriell-arbeitsteiliger Wertschöpfung prinzipiell möglich sei, lenkt alle Anstrengungen auf die Beseitigung vermeintlich politischer Unzulänglichkeiten, so als würde eine theoretisch fehlerfreie Konzeption an einer fehlerhaften Realität scheitern. In diese Trutzburg haben sich die Protagonisten der ökologischen Effizienz und Konsistenz eingemauert, um sich einer lästigen Erkenntnis zu entziehen: Wie soll jemals praktisch wahr werden, was nicht einmal theoretisch funktioniert?
Zunächst ist eine Unterscheidung zu treffen, nämlich zwischen relativer und absoluter Entkopplung. Die Erstgenannte führt dazu, dass der ökologische Schaden pro Einheit des Bruttoinlandsprodukts (etwa die durchschnittliche CO 2 -Menge pro monetär gemessener Wertschöpfungseinheit) tendenziell sinkt, während die Letztgenannte nach vorherrschender Auslegung darauf zielt, eine absolute Senkung ökologischer Belastungen bei gleichzeitiger Zunahme des Bruttoinlandsprodukts zu erwirken.
Die auf den ersten Blick vermeintlich gute Nachricht: Relative Entkopplung lässt sich seit langem in vielen Handlungsbereichen moderner Ökonomien nachweisen, ist mithin zur Praxis jeglichen Umweltschutzes gereift – wohlgemerkt bezogen auf die isolierte Berechnung des Bruttoinlandsprodukts einzelner Länder. Die schlechte Nachricht: Dieses Phänomen stellt keine Lösung dar, sondern wirkt sich problemverschärfend aus. Im Folgenden werde ich darstellen, woran bereits eine relative Entkopplung systematisch scheitert. Danach wird der Blick auf das noch unwahrscheinlichere Unterfangen einer absoluten Entkopplung gerichtet.
Materielle Rebound-Effekte
Entkopplung beruht auf zusätzlichen Effizienz- und Konsistenzmaßnahmen, die ihrerseits niemals immateriell sein können, sondern bestenfalls – und auch das ist in den meisten Fällen nicht gesichert, soll aber für den vorliegenden Kontext unterstellt werden – vergleichsweise geringere Stoff- oder Energieflüsse hervorrufen als die jeweils zuvor verwendeten Technologien oder Produkte. Dieser ohnehin nur graduelle Vorteil kann durch den hierzu notwendigen Zuwachs an materiellen Bestandsgrößen (Gebrauchs- und Investitionsgüter, Infrastrukturen, Produktionsanlagen etc.) überkompensiert werden. Paradoxerweise ist dies umso wahrscheinlicher, je innovativer die fraglichen Lösungen sind. Denn mit zunehmendem Innovationsgrad sind die Letzteren nicht durch eine Umrüstung vorhandener Produktionsanlagen zu realisieren. Vielmehr müssen zu deren Herstellung neue Kapazitäten und Infrastrukturen aufgebaut werden. Das gilt beispielsweise für Passivhäuser: Das Gros der zu durchlaufenden Wertschöpfungsstufen des Bausektors ist mit den Besonderheiten dieses Gebäudetyps noch immer überfordert. Also kann es kaum verwundern, dass zusätzlich zum konventionellen Bereich der Baubranche eine neue Marktstruktur entsteht, die sich auf nachhaltiges Bauen und Wohnen spezialisiert.
Die Abschätzung dieses materiellen Additionseffektes wird zu einer Denksportaufgabe, wenn der Blick erst auf die euphorisch ausgemalte Kombination von Elektromobilität und regenerativer Energie gerichtet wird: Welche zusätzlichen Produktionsstandorte, Stromtrassen, Industrien für Speichermedien, IT-Endgeräte zwecks Automatisierung und Smart Metering, Versorgungsstationen für Elektromobile, Entsorgungsindustrien für ausgediente Akkus bilden die Voraussetzung bzw. Folge derartiger Lösungen?
Unbeherrschbare Innovationsrisiken
Ökologische Entkopplung setzt technischen Fortschritt in Form sprunghafter, also innovativer Neuerungen voraus. Aber mit zunehmendem Innovationsgrad wachsen die Risiken infolge zuvor unbekannter Neben- und Langzeitfolgen. Wer konnte es Ende der 1980er-Jahre für möglich halten, dass sich der ökologische Rucksack eines Katalysators allein aufgrund seines Platinbedarfs auf etwa eine Tonne Material beläuft? Weiterhin offenbarte sich im Zuge der massenhaften Verbreitung und
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