Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)
Rückschritt – verkörpern die mit Gift und Galle verpönten Antithesen des zeitgenössischen Fortschrittsdogmas.
Der damit vorgezeichnete Weg führt in ein zunehmend komplexeres Gestrüpp aus sich überlagernden und gegenseitig verstärkenden Modernisierungsrisiken. Natürlich stehen den Letzteren – wer würde die Risiken sonst eingehen wollen? – verheißungsvolle Fortschrittschancen gegenüber. Diese materialisieren sich unmittelbar als Erschließung neuer oder als Verteidigung lieb gewonnener Freiheits- und Wohlstandssymbole, während die mitwachsende Risikoseite verdeckt bleibt. Doch auch sie materialisiert sich, nämlich als Anhäufung entfernt, später und in veränderter Gestalt auftretender Nebenwirkungen. Gerade deren Unberechenbarkeit macht es so leicht, Innovationsrisiken vom Wohlstand fein säuberlich zu trennen, so als handle es sich um einen eher zufällig auftretenden Kunstfehler, der durch die nächsten Fortschrittswellen wegoptimiert werden kann.
Diesen Innovationsmechanismus, der jede Problemlösung systematisch mit dem Risiko neuer Probleme erkauft, durch eine nunmehr geläuterte, an Entkopplung orientierte Zielrichtung bändigen zu wollen, bildet einen Widerspruch in sich: Die Nebenfolgen der einen Innovationswelle beschwören die Notwendigkeit einer weiteren herauf, deren Nebenfolgen wiederum die übernächste Innovationswelle erfordert ... Die damit immer höher aufgetürmte Risikokulisse wirft moderne Gesellschaften zurück in jenen Zustand, den wir durch unseren Aufbruch in die Moderne überwinden wollten: Schicksalsabhängigkeit.
Verlagerung ökologischer Probleme
Viele vermeintliche Entkopplungsfortschritte waren und sind nie etwas anderes als das Ergebnis einer Verlagerung ökologischer Probleme. Einige Kategorien derartiger Problemverschiebungen sollen kurz skizziert werden.
Zeitliche Verlagerung: Was droht, wenn beispielsweise die ersten Generationen von Photovoltaikpaneelen und Wärmedämmverbundsystemen zu verschrotten sind? Über deren Entsorgung wurde zum Zeitpunkt ihrer Installation nicht im Geringsten nachgedacht, weil durchschnittliche Nutzungsphasen von mindestens zwei Jahrzehnten veranschlagt werden.
Mediale und systemische Verlagerung: Klimaschutzpotenziale, die erneuerbaren Energieträgern zugeschrieben werden, beruhen bei näherer Betrachtung – selbst wenn es netto zu einer CO 2 -Senkung kommen sollte – lediglich darauf, den innerhalb eines bestimmten ökologischen Mediums auftretenden Schaden (gasförmiger Aggregatzustand: Emissionen) in ein anderes, ökologisches nicht minder relevantes Medium zu transferieren (fester Aggregatzustand: Fläche). Folglich wird die vergleichsweise weniger CO 2 -intensive Elektrizität aus regenerativer Energieversorgung mit Flächenverbräuchen, Eingriffen in die Biodiversität und Verlust an landschaftlicher Ästhetik erkauft. Vor dem Hintergrund einer sich dramatisierenden Verknappung von Flächen (»Peak Soil«) stellt sich die Frage, wie eine Bilanzierung oder Abwägung von derart unterschiedlichen Schadensdimensionen möglich ist.
Materielle Verlagerung: Elektromobilität soll dazu verhelfen, nicht mehr von fossilen Ressourcen abhängig zu sein. Dafür steigt der Bedarf an seltenen Metallen wie etwa Lithium. Ebenso benötigen Anlagen zur Erzeugung regenerativer Energien Seltene Erden. Ähnliches gilt für die vielen Endgeräte jener digitalen Innovationen, auf denen ein Großteil der Entkopplungsvisionen ruht. So wurde unter anderem der Verbrauch von Coltan infolge der zunehmenden Mobiltelefon-Produktion exorbitant gesteigert. In manchen Fällen wird auf diese Weise ein Knappheitsszenario durch ein Neues substituiert, das sogar brisanter sein kann.
Eine noch gravierendere Problemverschärfung tritt dort ein, wo einem bestehenden Knappheitsproblem schlicht ein weiteres hinzuaddiert wird: So fließt in die Herstellung von Photovoltaikanlagen nach wie vor auch fossile Energie ein, weil die Verarbeitung des benötigten Siliziums Prozesstemperaturen von 1.200 bis 1.400 Grad Celsius erfordert, die auf Basis regenerativer Energien absehbar kaum erzielbar sind. Ähnliche Fragen wirft die Windenergie auf: Erfolgt die Verarbeitung der hierzu erforderlichen Materialien lückenlos mittels regenerativer Energieträger? Insoweit diese Voraussetzung nicht erfüllt ist, scheitert regenerative Energie am Kriterium der Eigenreproduzierbarkeit.
Auf Einwände dieser Art wird zuweilen entgegnet, dass die Energiebilanz der Anlagen dennoch
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