Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)
und drittens aus einer Senkung der Preise jener Güter, für die zusätzliche (wenngleich relativ nachhaltigere) Produktionskapazitäten aufgebaut werden.
Um Letzteres zu vermeiden wird zuweilen eine mehrstufige Strategie diskutiert, deren erster Schritt darin besteht, nachhaltige Produktionskapazitäten bzw. Produkte aufzubauen, welche im zweiten Schritt die alten, weniger nachhaltigen Versorgungsstrukturen, die dann zurückzubauen wären, ersetzen sollen. So würde nach einer nur vorübergehenden Parallelität beider Kapazitäten zum quantitativ ursprünglichen, aber qualitativ nachhaltigeren Versorgungsniveau zurückgekehrt. Aber angesichts der Dynamik, mit welcher sich energieintensive Lebensstile verbreiten, insbesondere wenn die vielen kleinen und großen Stromfresser der Selbstdarstellung dienen oder man sich an deren Komfort gewöhnt hat, dürfte jeder Versuch, die einmal erreichte Wohlstandshöhe auf ein vormaliges Niveau zurückzuführen, völlig aussichtslos sein. Denn dies würde nichts weniger als eine Reduktionsleistung, also jene Zumutung erfordern, die mit Hilfe »grüner« Wachstumsversprechungen doch gerade vermieden werden soll.
Psychologische und politische Rebound-Effekte
Trotz der obigen Problematik zählt es zum Alltag moderner Demokratien, relative Entkopplung als umweltpolitischen Erfolg darzustellen, etwa indem der Output an Passivhäusern, Windkraftanlagen etc. ungeachtet ihres additiven Charakters gepriesen wird. Dies kann dazu führen, dass zusätzliche ökologische Schäden gerechtfertigt werden, die andernfalls politisch nicht durchsetzbar wären. Schon die Einführung des Drei-Wege-Katalysators verdeutlichte, wie eine bestenfalls graduelle Entschärfung den Weg in eine beschleunigte Umweltschädigung ebnet. Jede Notwendigkeit einer Abrüstung der fossilen Motorisierung konnte unter Verweis auf die angeblich heilsame Katalysatortechnik im Keim erstickt werden, sodass einer weiteren Expansion des motorisierten Individualverkehrs nichts im Wege stand. Deshalb sind Optimierungen am Detail kontraproduktiv, wo sie zur Rechtfertigung eines insgesamt mit Nachhaltigkeit niemals zu vereinbarenden Gesamtsystems beitragen. Derartige »psychologische Rebound-Effekte« lassen sich unter anderem auf zwei Entscheidungsebenen nachzeichnen.
Politische Ebene: Ähnlich wie der Katalysator den motorisierten Individualverkehr vor Wachstumsschranken schützte, erleichtert die Passivhausbauweise die weitere Ausweisung von Baugebieten für Einfamilienhäuser, womit der materiellen Produktion, der Expansion des pro Person in Anspruch genommenen Wohnraums und der Zersiedlung ganzer Landstriche Vorschub geleistet wird. Ähnliches gilt für den Ausbau von Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien. Insoweit weder Autos mit Katalysator noch Passivhäuser oder Photovoltaikanlagen zum ökologischen Nulltarif zu haben sind, kann eine zusätzliche Belastung resultieren, die ohne den legitimierenden Effekt einer relativen Entkopplung nicht eingetreten wäre.
Individuelle Ebene: Das Bewusstsein, durch ein bestimmtes Konsumobjekt relativ geringere Umweltschäden zu verursachen, kann aus individueller Sicht die verstärkte Nutzung rechtfertigen. So wie ein Gas-, Brennstoffzellen- oder Elektroantrieb das perfekte Alibi für PKW-Anschaffungen und zusätzliche Autofahrten bilden, erleichtert die Passivhausbauweise individuelle Entscheidungen zugunsten eines Einfamilienhauses, anstatt sich mit einer Wohnung zu begnügen. Wer Ökostrom bezieht, hat eine gute Rechtfertigung dafür, es mit dem Energiesparen nicht so genau zu nehmen.
Meistens tritt die Alibiwirkung bereits ein, bevor die vermeintlich effizientere bzw. konsistentere Lösung überhaupt verfügbar ist, zuweilen auch ohne jeden Beweis dafür, dass die ohnehin nur relative Entlastungswirkung jemals eintrifft. Oft reicht die öffentlichkeitswirksame Ankündigung einer von visionären Wissenschaftlern oder globalen Wanderpredigern für denkbar gehaltenen Entkopplungsinnovation. Wenn derartige Verlautbarungen von hinreichend vielen Medien für glaubwürdig befunden werden, bilden sie die kaum in Frage gestellte Hintergrundfolie für Zukunftsentscheidungen. Politische Instanzen und Unternehmen, deren Aussicht auf Wählerstimmen bzw. Güternachfrage nicht zuletzt darauf beruht, ihrem Klientel bald eintretende Entkopplungsfortschritte zu verheißen, die eine Aufrechterhaltung gegenwärtiger Wohlstandspraktiken legitimieren, haben genügend Anreize, sich derartiger
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