Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)
PKW fährt und obendrein regelmäßig gebrauchte statt neue Konsumgüter erwirbt, könnte die monetären Ersparnisse verwenden, um nach Indien zu fliegen. Obendrein würden am Urlaubsort vermutlich weitere Ausgaben getätigt, die zu Energieverbräuchen führen.
Derartige Effekte wären nur zu vermeiden, wenn grundsätzlich jeder finanzielle Kostenvorteil infolge von Effizienzmaßnahmen sowohl auf Unternehmer- als auch Nachfrageseite unterbunden oder abgeschöpft würde. Aber dies hätte zwei Konsequenzen: Erstens würde sich die Frage stellen, ob dann nicht jeglicher Anreiz entfiele, überhaupt in Effizienzmaßnahmen zu investieren. Zweitens ergäbe sich folgender Konflikt: Je vollständiger es gelingt, die konterkarierenden Einkommenssteigerungen zu unterbinden, umso unwahrscheinlicher ist eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts.
Der Kapazitäts- und der Einkommenseffekt ökologischer Investitionen
Generell löst jede Investition in neue Produktionsstätten einen Kapazitäts- und einen Einkommenseffekt aus. Während ersterer den Gesamtoutput erhöht, insoweit zusätzliche Produktionskapazitäten geschaffen werden, generiert letzterer zusätzliches Einkommen, und zwar auch dann, wenn der zuvor mit Kosteneinsparungen begründete Rebound-Effekt überhaupt nicht eintritt.
Am Ökostrom lässt sich beispielhaft das Zusammenwirken beider Effekte verdeutlichen: Die zu dessen Bereitstellung erforderlichen Anlagen zwecks Nutzung regenerativer Energieträger tragen weder auf Anbieter- noch auf Nachfragerseite zu Kosteneinsparungen bei, sondern zu einer ökologischeren Qualität des Stroms. Dennoch steigt durch die Investitionen in Wind-, Solar-, Bioenergieanlagen etc. das verfügbare Einkommen und folglich die volkswirtschaftliche Kaufkraft. Diese kann sowohl dazu dienen, die zusätzliche Elektrizität nachzufragen (also käme es zu keinem Ersatz des fossilen und atomaren Stroms, sondern nur zur Addition des »grünen« Stroms), als auch dazu, weitere Nachfrage nach beliebigen anderen Gütern zu finanzieren.
Schauen wir uns die letztgenannte Möglichkeit der Einkommensverwendung an. Oft wird argumentiert, die zusätzliche Kaufkraft könnte unter geeigneten Rahmenbedingungen zur Finanzierung weniger material- und energieintensiver Dienstleistungen eingesetzt werden. Genannt werden Bildung, Gesundheit, soziale Dienste, Erlebnisgüter, Wellness, Beratungsservices, künstlerische Leistungen, Mediendesign, die »Kreativwirtschaft« und viele andere Projektionen eines vermeintlich »qualitativen« Wachstums. Aber abgesehen davon, dass derartige Dienstleistungen hinter der vermeintlich immateriellen Fassade oft nichts anderes als ein Vehikel für besonders energieintensive Lebensstile verkörpern, dürfte die Vorstellung eines sich daraus speisenden grünen Wachstums geradezu unerfüllbar sein.
Angenommen es gelingt, die durch Investitionen in Windkraft- und Photovoltaikanlagen induzierten Einkommenszuwächse vollständig in das Bildungssystem zu lenken. Dann dürften dies, um allein eine Qualitätssteigerung zu bewirken, nur Ausgaben für zusätzliches Personal sein, beispielsweise für Lehrer. Die Alternative bestünde darin, in materielle Strukturen des Bildungssektors zu investieren wie Gebäude, Medien, Hardware oder Kerosin (für Studienreisen und Auslandspraktika), was eine ökologische Neutralität per se ausschließt. Damit nun die ökologische Neutralität gewahrt bleibt, müssten die zusätzlich eingestellten Lehrer wiederum nur Lehrer nachfragen, die wiederum Lehrer nachfragen ... Vermutlich werden sich Lehrer aber nicht davon abhalten lassen, dieselben materiellen Güter nachzufragen wie jeder andere Konsument. Neueren Studien zufolge liegt die durchschnittliche CO 2 -Menge eines einzigen Euros, der als zusätzliches Einkommen verfügbar ist, zwischen einem und mehreren Kilogramm.
Problemverschärfend wirkt sich im obigen Ökostrombeispiel aus, dass die Ausdehnung des Gesamtangebots an Strom infolge des Kapazitätseffekts dessen Preis senkt, sodass einer fortschreitenden Anreicherung privater und beruflicher Umfelder mit Komfort steigernden Energiesklaven, Strom fressender IT-Hardware etc. weiterer Vorschub geleistet wird, und zwar sogar unabhängig von den zuvor erläuterten Einkommenseffekten. Konterkarierende Nachfragezuwächse speisen sich somit aus drei Quellen: erstens aus den kostensenkenden Effekten von Effizienzmaßnahmen, zweitens aus dem Einkommenszuwachs, den die getätigten Investitionen induzieren,
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