Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)
Paradoxie. Angenommen, es gelänge, die materiellen Bestands- und Flussgrößen permanent auszutauschen, statt graduell nachhaltigeren Output zu addieren. Wie könnte das Bruttoinlandsprodukt dann wachsen? Würde beispielsweise der Ausbau des erneuerbaren Energiesektors daran gekoppelt, im selben Umfang fossile und atomare Kapazitäten zurückzubauen, stünde der Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts durch die Erneuerbaren eine Wertschöpfungsreduktion im Atom- und Kohlesektor gegenüber, sodass im Saldo sogar ein Negativwachstum wahrscheinlich wäre. Warum? Kohle- und Atomanlagen benötigen während ihres Betriebs im Gegensatz zu Wind- und Solaranlagen eine ständige Ressourcenzufuhr (Kohle- und Urangewinnung), die über komplexe Lieferketten entsprechende Wertschöpfung generiert. Dagegen erstreckt sich die Wertschöpfung der Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energie fast ausschließlich auf den Kapazitätsaufbau. Danach kann bis zum Ende der Nutzungsdauer nur der Strom verkauft werden. Deshalb handelt es sich bei dem viel besungenen grünen Jobwunder um einen Strohfeuereffekt.
Würde nun versucht, das Wachstum des Energiesektors durch Entsorgungsdienstleistungen im Zuge des Rückbaus alter Kraftwerke zu sichern, stellte sich – abgesehen von den wiederum damit verbundenen materiellen und finanziellen Rebound-Effekten – die Frage, wie diese Wertschöpfungsquelle aufrechterhalten werden soll, nachdem alle Kohle- und Atomkraftwerke abgetragen sind. Also verbliebe zwecks weiteren Wachstums des Bruttoinlandsprodukts nur ein stetiger Ausbau der erneuerbaren Energien, aber dies würde nicht nur materielle und finanzielle Nebenfolgen implizieren, sondern absehbar auf räumliche Grenzen stoßen. Wo sollen die Flächen herkommen?
Dasselbe gilt für den Wohnbereich. Eine absolute ökologische Entlastung würde hier voraussetzen, den Gebäudebestand auf keinen Fall weiter auszudehnen, sondern bestehende Immobilien zu sanieren und gegebenenfalls zu erneuern. Aber einer Sanierungsoffensive würden absehbar die Objekte ausgehen. Somit verblieben als einzige Quelle für Wertschöpfung die Instandhaltung und ein eher selten auftretender Ersatz jener Objekte, die nach Ausschöpfung aller Maßnahmen zur ökologischen Optimierung nicht mehr nutzbar sind. Eine derartige Ökonomie der Bestandsoptimierung, die auf alle Bereiche auszudehnen wäre, böte keine Wachstumspotenziale, sondern nur noch einen konstanten Wertschöpfungsstrom auf vergleichsweise geringem Niveau.
Die Absurdität einer absoluten Entkopplung zeigt sich somit aus zwei entgegengesetzten Perspektiven. Unter der Bedingung eines beständigen Wirtschaftswachstums ist es unmöglich, die Ökosphäre absolut zu entlasten. Unter der Bedingung einer absoluten Entlastung der Ökosphäre ist es unmöglich, ein beständiges Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten.
Von der Objekt- zur Subjektorientierung
Wer das spektakuläre Scheitern der Entkopplungsstrategie untersucht, stößt nicht nur auf die vielfältige Rebound-Problematik, sondern auf ein Phänomen, das sich als Objektorientierung des Nachhaltigkeitsdiskurses bezeichnen lässt. Dahinter verbirgt sich die tief verwurzelte Anschauung, Produkten, Technologien, Dienstleistungen oder anderen Objekten menschlicher Schaffenskraft per se Nachhaltigkeitsmerkmale zuschreiben zu können. Aber die Umsatzsteigerungen auf Märkten für »nachhaltige« Produkte sagen nichts aus, wenn es sich dabei um reine Addition oder um sinnbildliche Kompensationen für grassierende Nichtnachhaltigkeit handelt.
Warum ist ein Drei-Liter-Auto klimafreundlicher als ein 20 Liter schluckender Opel Admiral, wenn der Besitzer des Ersteren pro Tag 200 Kilometer hin und zurück zum Arbeitsplatz fährt, während der Admiral-Besitzer, ansonsten stolzer Bahn-Card-Inhaber, damit nur fünfmal jährlich ein regionales Ziel ansteuert, weil es keinen Bahnhof hat? Inwieweit trägt ein Passivhaus zur nachhaltigen Entwicklung bei, wenn dessen Besitzer jede Woche eine Flugreise antritt und gerade deshalb in diesen Gebäudetyp, insbesondere den damit verbundenen Reputationseffekt, investiert hat? Ähnliches gilt für die Geländewagen fahrende Stammkundschaft des Bio-Supermarktes oder den Ökostrom nutzenden Haushalt, der über so viele Flachbildschirme, Computer und Stereo anlagen wie Zimmer verfügt.
Gerade weil Produkte längst zu einem Identität stiftenden Kommunikationsinstrument geworden sind, liegt ein ernüchternder Befund nahe: Die Strahlkraft nachhaltiger
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