Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)
charakterisierte Prozess wäre nicht oder nur in viel schwächerer Ausprägung denkbar, wenn die Geschäftsbanken nicht ständig neues Geld schöpfen könnten, um die Unternehmen mit Krediten für die Investitionen zu versorgen. Diese Geldschöpfung erfolgt praktisch aus dem Nichts, weil die Banken bei der Kreditvergabe nicht einfach nur die Spareinlagen eins zu eins weitervermitteln, sondern Schulden in Geld verwandeln können. Dieses »Schuldgeldsystem« setzt der wundersamen Geldvermehrung keine Grenzen und wandelt Geld in reales Wachstum um.
Auf einen weiteren strukturellen Wachstumstreiber wurde bereits weiter oben eingegangen, nämlich die Steigerung der Arbeitsproduktivität. Je weniger Arbeit notwendig ist, um einen bestimmten Output zu erzeugen, umso größer muss folglich der Output sein, damit alle bisherigen Arbeitnehmer im selben Umfang benötigt werden, zumindest unter den gegenwärtigen Eigentumsverhältnissen. Interessanterweise ergibt sich daraus dieselbe Schlussfolgerung: Strukturelle Wachstumszwänge zu mildern würde bedeuten, mit weniger Kapital zu produzieren.
Kulturelle Wachstumstreiber
Unter welchen Bedingungen stiftet Konsum Glück? Undifferenziert lässt sich diese Schlüsselfrage schon angesichts des berühmten ersten Gossenschen Gesetzes nicht beantworten. Demzufolge nimmt der Nutzen, den eine weitere Einheit eines Konsumgutes stiftet, mit zunehmender Quantität ab. Dies beflügelt ständig neue Steigerungen der konsumtiven Selbstentfaltungsoptionen durch qualitative Veränderungen. Die permanente Neuerfindung der Konsumgesellschaft schützt vor Sättigungserscheinungen und Langeweile. Deshalb erstreckt sich die horizontale und vertikale Expansion des Variantenreichtums auf Produkte, Services, Erlebnisse, Reiseziele, virtuelle Welten, Wellness-Konzepte, die Optimierung des eigenen Körpers oder – sollte die innovative Ideenflut ins Stocken geraten – auf inszenierte Symbolaufladungen, mit denen alter Wein in neuen, nunmehr kulturell aufgewerteten Schläuchen seinen Reiz entfalten kann. Dennoch spricht einiges gegen die Binsenweisheit, dass eine konsumvermittelte Steigerung des individuellen Glücks nur eine Frage des Designs, ansonsten aber nach oben offen ist.
Die seit Neuestem auch in den Wirtschaftswissenschaften viel beachtete »Glücksforschung« führt zur Einsicht, dass eine Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens nach Erreichen eines bestimmten Niveaus keinen weiteren Zuwachs an Glück stiftet. Eine mögliche Begründung dafür liefert der amerikanische Ökonom Fred Hirsch. Ihm zufolge ist der Nutzen vieler Güter symbolischer oder demonstrativer Art, beruht also auf Distinktion, sozialem Prestige oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe. Konsum ist somit von einem Wettbewerb geprägt, in dem es um einen höheren Platz innerhalb der sozialen Hierarchie geht und Gewinne für Einzelne nur durch die Verluste von anderen möglich sind. Ein zunächst erheischter Vorsprung erodiert mit der Anzahl jener Personen, die zunächst übertroffen wurden, aber infolge weiteren Wachstums aufholen oder gleichziehen. Bereits die Verteidigung, erst recht aber die Wiedererlangung oder gar Steigerung einer sozialen Position setzt somit ständig neue Kaufhandlungen voraus – ohne das eigene Wohlbefinden erhöhen zu können. Folglich ist es kein Widerspruch, wenn einerseits an permanenten Konsumsteigerungen festgehalten wird, obwohl anderseits im Nachhinein festgestellt werden kann, dass dies zu keinem Glückszuwachs geführt hat.
Die resultierende Dynamik ähnelt einer Rüstungsspirale, da ein immer höherer Konsumaufwand vonnöten ist, um ein bestimmtes, keineswegs steigerbares Glücksniveau aufrechtzuerhalten oder wiederzugewinnen. Mit jedem Wachstumsschub können bestimmte Konsumenten ihren Status verbessern, was sich zulasten der relativen Position anderer auswirkt. Letztere werden damit zu Promotoren und zur politischen Rechtfertigung weiteren Wachstums, das benötigt wird, um deren Anspruch auf nachholende Steigerung der Fremdversorgung zu finanzieren. Dies ist die Basis einer – abgesehen von physischen Grenzen – nie versiegenden Rückkopplungsdynamik, deren Ursache und Folge ökonomisches Wachstum ist. Dabei liegt ein bestimmtes sozialpolitisches Verständnis zugrunde, nämlich dass eine für wünschenswert erachtete soziale Angleichung durch die Ausweitung der verfügbaren Möglichkeiten anzustreben ist. Umverteilungsprobleme werden nach dieser Logik weit
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