Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie (German Edition)
umschifft. Stattdessen sollen ökonomische Zuwächse eine Verteilungsmasse generieren, mit der die Ansprüche der Zurückgebliebenen befriedigt werden, ohne den Gewinnern etwas nehmen zu müssen. So werden soziale Belange in einen Wachstumsimperativ transformiert.
In abstrakter Betrachtung kann diese Steigerungslogik als das dominante Entwicklungsprinzip moderner Konsumgesellschaften bezeichnet werden. Die nie versiegende Quelle für gesellschaftspolitischen Handlungsbedarf speist sich aus der Aufdeckung sozialer Differenzen, die sodann in den Imperativ ihrer Beseitigung durch zusätzliches Bewirken und Steigern transformiert werden. So erhält jegliches politische und wirtschaftliche Agieren eine nie zum Ende gelangende, nämlich sich selbst verstärkende Legitimation. Genug ist eben nie genug: Wachstum erzeugt Differenzen, deren Beseitigung – ganz gleich auf welchem Niveau – neues Wachstum notwendig macht.
Kapitel VI
Weniger ist mehr –
Umrisse einer Postwachstumsökonomie
Worin besteht die Alternative zu einer auf Wirtschaftswachstum basierenden Existenzform? Um eine Postwachstumsökonomie systematisch und als in sich geschlossenes Konzept zu entwickeln, muss sie darauf beruhen, die zuvor skizzierten strukturellen und kulturellen Wachstumstreiber weitestgehend auszuschalten. Die Erstgenannten sind nur durch eine tendenzielle Verkürzung oder Entflechtung komplexer Produktionsketten zu mildern. Eine daraus folgende Reduktion des Fremdversorgungsgrades kann von der Regional- über die Lokal- bis zur Selbstversorgung, also Subsistenz, reichen. Subsistenz ist keine Frage des Entweder- oder, sondern des Mehr-oder-weniger, kann also als Element kombinierter Versorgungsleistungen mit unterschiedlichen Fremdversorgungsgraden in Erscheinung treten.
Demgegenüber lassen sich kulturelle Wachstumstreiber nur – so trivial und zugleich mühsam dies auch erscheinen mag – durch suffiziente Anspruchsausformungen mildern. Folglich ruht das Fundament einer Postwachstumsökonomie auf einer Theorie der Subsistenz und Suffizienz, deren Umrisse und Eckpunkte in diesem abschließenden Kapitel dargelegt werden sollen.
Ökonomie der Nähe:
Milderung struktureller Wachstumszwänge
Eine Verkürzung von Produktionsketten bis zur Lokaloder Regionalversorgung kann die monetären Ansprüche des eingesetzten Kapitals senken, wenn die damit verbundene Möglichkeit kürzerer Distanzen zwischen Kapitalgebern und -nehmern genutzt wird. Eine solche »Ökonomie der Nähe« ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
Transparenz: Wenn bei hinreichend geringer Distanz zwischen beiden Marktseiten die Produktnachfrager zugleich die Kapitalgeber ihrer regionalen Produzenten sind, kann aufgrund der damit verbundenen Transparenz Vertrauen entstehen. Eine direkte Beziehung zwischen Kapitalnachfrager und -anbieter mindert jene Unsicherheit, die hohe monetäre Risikokompensationen rechtfertigt.
Empathie: Wenn sich die Wechselseitigkeit zwischen regionalen Marktakteuren sowohl auf Produkte als auch auf Kapital erstreckt, begünstigt dies die soziale Einbettung der Ökonomie. Unmittelbare Beziehungen, die über anonyme Marktinteraktionen hinausgehen, erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass die Logik reiner Profit- und Kapitalertragsmaximierung von informellen sozialen Normen und Beziehungen zwischen jenen, die sich im Rahmen ökonomischer Transaktionen begegnen, durchbrochen wird. Verstärkt werden derartige Wirkungen dadurch, dass sich die Akteure mit ihrer Region, folglich auch mit der dort beheimateten Ökonomie, identifizieren.
Interessenkongruenz: Würden in einer hinreichend kleinräumigen Ökonomie die Kapitalgeber, welche zugleich Abnehmer der Produkte der Kapitalverwender sind, ihre Rendite- bzw. Zinsansprüche erhöhen, müssten sie sich selbst schädigen. Denn den Kapitalverwendern bliebe langfristig nichts anderes möglich, als der erhöhten Zins- bzw. Renditelast durch Preiserhöhungen zu begegnen.
Verwendungskontrolle: Wenn Kapitalgeber über die Möglichkeit verfügen, selbst zu bestimmen und zu kontrollieren, in welchen Handlungsbereichen ihr Kapital zum Einsatz gelangt, entspräche es keinem »Verzicht«, wenn sie ihre Rendite- und Zinsansprüche mäßigen würden. Denn auf diese Weise verwirklichen sie sich als Förderer ihrer eigenen ethischen Orientierung, etwa wenn sie ihre Ersparnisse in regionale, ökologische, soziale, künstlerische Projekte oder Unternehmungen investieren, die mit ihren politischen Vorstellungen
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