Begegnung in Tiflis
Bauern geben, der sagt: »Steig ein, Täubchen, und ruh dich aus.« Oder ein Lastwagen wird zur Grenze fahren, und zwischen Kisten und Körben vergeht die Zeit und schrumpfen die Entfernungen.
Bettina stieß sich von der Hauswand ab. Ein klarer Weg, dachte sie. Noch einmal sah sie zurück auf Tiflis und auf die Weinhänge, über die weiße Tupfen sich bewegten wie weiß gestrichene Ameisen. Leb wohl, Piotr, dachte sie. Mamuschka wird sehr böse sein, wenn du am Abend nach Hause kommst.
Dann lief sie weiter die Hochebene hinauf, den in der Ferne im Sonnenglast schwimmenden armenischen Bergen entgegen. Heiß war es, und in einem Hohlweg voller Steine – im Frühjahr raste hier ein Strom von Schmelzwassern aus den Bergen ins Tal – vergrub sie die zusammengerollte Stewardeßuniform in einer Mulde und häufte Steine darüber. Bis gegen Mittag ging sie nach Süden, ruhte sich aus unter mächtigen Ulmen oder Buchsbäumen und verkroch sich – als die Hitze es unmöglich machte weiterzuwandern – in einem Hain von wilden Feigenbäumen, aß ein Stück Brot und etwas Käse, trank ein paar Schlucke des warm gewordenen Wassers und kroch in eine Aushöhlung der Felswand.
Sie wachte auf vom Lärm ratternder Motoren und wußte erst da, daß sie eingeschlafen war. Dreißig Meter von ihr, zur anderen Seite – und deshalb hatte sie es nicht gesehen – war eine Straße, und über diese Straße fuhren Lastwagen mit Soldaten der Roten Armee ins Gebirge. Jeeps und Motorräder folgten, ein regelrechter Aufmarsch war's, Kolonne nach Kolonne, und die Soldaten scherzten und sangen, und der Geruch von Papirossyqualm zog bis zu Bettinas Feigenhain.
Mit großen, starren Augen sah sie auf die Rotarmisten. Flach auf der Erde lag sie, die braune Wachstuchtasche über den Kopf geschoben, damit ihr blondes Haar nicht in der Sonne leuchtete, und als zwischen Lastwagen und neuen Kolonnen ein kleiner Zwischenraum war, riß sie vom Saum des Rockes ein Stück ab und band es als Kopftuch um die Haare.
So lag sie flach unter den wilden Feigenbäumen und mußte hilflos zuschauen, wie man ihr den Weg nach Süden und zur türkischen Grenze versperrte. Daß der Aufmarsch ihr galt und General Oronitse in einem Tagesbefehl unter Geheimstufe I an die Truppen mitteilte, daß die Entdeckung der deutschen Agentin lebensnotwendig für Rußland sei, ahnte sie nicht. Sie glaubte an eine Übung; aber welch ein Unterschied war's schon? Der Weg zur armenischen Grenze wimmelte von Soldaten, und eine Maus hätte man entdeckt, wenn sie in die Türkei gelaufen wäre.
Bettina kroch zurück in ihre Höhle und lehnte sich an die rissige Wand. Aller Mut, alle Kraft waren aus ihr gewichen. In einer zugeschlagenen Falle sitze ich, dachte sie.
Ein riesiger Käfig, und ich kann in ihm herumirren: im Süden Armenien, im Norden der Kaukasus, im Westen das Schwarze Meer, im Osten das Kaspische Meer – gibt es ein besseres, sichereres Gefängnis?
Sie schloß die Augen und stellte sich das Land vor, wie sie es von der Karte her kannte. Einen Weg vielleicht gab es, hinunter in den tiefen Süden, nach Aserbeidschan und zur iranischen Grenze. Man konnte ihn nicht verfehlen; man brauchte nur an der Erdölleitung entlangzugehen, die von Baku nach Batum führt, quer durch Georgien und durch das Tal von Tiflis. Bei Baku erreichte man das Kaspische Meer, und an der Küste entlang war es leichter, nach Persien zu kommen, als über die Gebirge in die Türkei.
Welch ein Weg, dachte Bettina, und ein Frieren überzog sie trotz der Hitze des Mittags. War er jemals zu überwinden? Und wieviel Wochen brauchte man dazu, denn nur nachts konnte sie wandern, auf dem schmalen Streifen zwischen Erdölleitung, Bauernpfaden und der Eisenbahnlinie, die von Tiflis nach Baku führt.
So saß sie den ganzen Tag über in dem Hain wilder Feigenbäume und lauschte auf die Geräusche, die von der Straße zu ihr drangen. Einmal zog eine Kamelkarawane an ihr vorbei, beladen mit Ballen gepreßten Tees, Teppichen und Seidenstoffen. Dann erneut ein Wagen mit Soldaten. Und sie kroch wieder in ihre Höhle und wartete auf die Nacht.
*
Dimitri Sergejewitsch Sotowskij war ein schöner Mann. Schwarze, lockige Haare hatte er, schwarze, feurige Augen, ein gut gebautes Körperchen mit Muskeln und stählernen Sehnen, und wenn er lachte, o Genossen, man kann es den Weibchen nicht übelnehmen, daß sie dann kindisch wurden und sich drehten wie Hündinnen auf den Gassen. Und ein kluger, fleißiger Mann war er. Mit 25
Weitere Kostenlose Bücher