Begegnung in Tiflis
gegeben.«
Bettina schwieg. Möge er nie erfahren, daß ich eine Deutsche bin, dachte sie. Möge das Schicksal so gnädig sein, ihm die Augen zu verschließen, bis ich aus Tiflis flüchten kann. O Himmel, was wird sein, wenn er die Wahrheit erkennt! Über die Berge zog der fahle Schein des Morgens, als sie vor dem Haus hielten, in dem Dimitri wohnte. Hinter einem der Fenster schimmerte Licht durch die Gardinen, und Dimitri zeigte nach oben.
»Väterchen Kolka ist schon wach«, sagte er. »Das Frühstück hat er fertig, wenn ich von der nächtlichen Runde komme. Eier brät er in der Pfanne, und dazu Speck und kleine, runde Kartoffeln. Und saure Milch hat er aufgesetzt, mit gezuckerten Erdbeeren. Er wird staunen, wenn er dich sieht, Wanduscha.«
Sie standen vor der Tür, und Dimitri schloß auf.
»Ich habe plötzlich Angst«, sagte Bettina leise. Es war, als verkröche sie sich in dem viel zu weiten Pullover.
»Angst? Warum, mein Täubchen?«
»Ich weiß es nicht, Dimitri«, sagte sie kläglich.
»Vor Kolka, dem Väterchen?«
»Ich glaube. Ein merkwürdiges Gefühl habe ich. Wie vor einem Gewitter ist's, wenn die Kühe sich zusammendrängen und stumm werden. O Dimitri, ich ahne ein Gewitter.«
»Müde bist du. Und du wirst schlafen, wenn Väterchen Kolka dich erst einmal umarmt und dich ›Töchterchen‹ begrüßt hat. Und morgen suchen wir dann deinen Onkel Wanja.«
Bettina nickte. Die Tür knirschte etwas, als sie aufging. Wie eine gefährliche Höhle gähnte ihr das dunkle Treppenhaus entgegen.
Was wird oben sein? Wie wird dieser Kolka Iwanowitsch Kabanow mich ansehen? Wie soll es überhaupt weitergehen? O Gott, wer kann darauf eine Antwort geben?
»Komm, Wanduscha«, sagte Dimitri, und seine Stimme klang wie der Anschlag einer Cellosaite. »Augen wird er machen, das Väterchen, wenn ich ihm zeige, welches Vögelchen ich eingefangen habe.«
*
In der gleichen Nacht hatte der arme Piotr in seiner Hütte in den Weinbergen eine schlechte Stunde.
Das blinde Mütterchen empfing ihn mit einem duftenden Braten, was schon ungewöhnlich war mitten in der Woche.
»Wie gefällt sie dir?« rief das blinde Mütterchen und spuckte Sonnenblumenkerne um sich.
»Wer?« fragte Piotr ein wenig blöde.
»Das neue Töchterchen, deine Frau, du Esel! Führ sie zu mir.«
Piotr wischte sich über die Augen, schnaufte laut und sagte dann: »Ich habe keine Frau, du weißt es doch, Mütterchen.«
»Wanda Fjodorowa!« schrie die Alte.
»Nie gesehen, Mütterchen.«
»Im Weinberg war sie doch, bei dir!«
»Bei mir war keiner, Mütterchen.«
»Ein sanftes, liebes Mädchen mit einer runden, festen Brust. Gefühlt habe ich sie. Gut genug für zehn Jungen. Wo ist sie?« kreischte die Alte.
»Ich habe niemanden mit einer runden Brust gesehen, Mütterchen«, sagte Piotr ehrlich. Im Hintergrund kicherte Axinja, die Schwester, wie ein blöder Geier.
»Ruhe!« schrie die blinde Alte. »Betrug war's! Kleider hat sie genommen! Butter und Speck und Schinken! Die Hölle über sie! Zur Polizei gehst du und meldest es! Sofort! Und so lieb sprach sie, so nett war sie. Den Glauben sollte man verlieren an Gott und alle Engel. O welch ein Frauchen wäre es für meinen Piotr gewesen …«
Es half kein Widerreden; noch in der Nacht fuhr Piotr auf einem alten, rostigen Fahrrad hinunter nach Tiflis und meldete der Miliz den geheimnisvollen Vorfall. Und er wunderte sich, daß man sofort tätig wurde und ihn nicht mit einem Fußtritt auf die Straße setzte. Im Gegenteil, man umarmte ihn, nannte ihn ein kluges Bürschchen und alarmierte – so hörte es der staunende Piotr – telefonisch den General Oronitse.
»Eine heiße Spur, Genosse General!« rief der Milizhauptmann ganz aufgeregt. »In den Weinbergen nach Rustawi hin. Ich verhöre den Burschen sofort und fahre mit einem Kommando an den Ort. Jawohl, Genosse General. Mein Name ist Uman Tonjanowitsch Wjerenka. Hauptmann, Genosse General! Ich danke für das Lob, Genosse General.«
Piotr zuckte zusammen, als der Hauptmann mit den Stiefelhacken knallte. Er war nie Soldat gewesen. Zu blöd dafür, hieß es bei der Musterung. Und das will etwas heißen.
»Und nun zu dir, mein Lieber«, sagte der Milizhauptmann jovial. »Erzähle, was du weißt. Wie sieht sie aus?«
»Das weiß niemand, Brüderchen«, sagte Piotr und grinste freundlich.
»Das erschwert das alles ja.«
»Wie beschreibt dein Mütterchen das Mädchen?«
»Überhaupt nicht, Genosse Hauptmann. Gefühlt hat sie es. Abgetastet.
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