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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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»Ganz ungewöhnlich ist das. Und die Straßen kontrollieren sie wie im Krieg. An jeder Kreuzung muß man seinen Ausweis zeigen. Nehmen sich sehr wichtig, die Genossen vom Militär.« Er betrachtete Wanda Fjodorowa wieder und schüttelte den Kopf. Man soll nicht glauben, wie schön sie unter diesem häßlichen Pullover ist, dachte er. »Du hast keinen Ausweis?« fragte er.
    »Dimitri Sergejewitsch«, Bettina lächelte ihn an, »wer denkt an ein Papierchen, wenn er aus der Hölle flüchtet? Nur weg wollte ich von Dunja, dem Teufelchen. Nur weg!«
    »Das kompliziert alles noch mehr.« Dimitri lauschte auf die Geräusche jenseits der Felsen. Er hörte das helle Knirschen der Panzerketten und das Rumpeln der schweren Motoren. An jeder Kreuzung stehen sie, dachte er. Und streng sind sie, weiß der Teufel, warum. Was haben wir mit den Manövern zu tun? Aber es hat ja keinen Sinn, zu protestieren. Nur Ärger hat man mit den Uniformen, und Recht bekommen sie auch immer.
    »Wir wollen es versuchen«, sagte er. »Auch Soldaten haben zuweilen ein Herz.«
    Sie kletterten den Hang hinauf, und Dimitri bog die Dornenbüsche auseinander, damit Wanda Fjodorowa ohne Kratzer den Pfad erreichen konnte.
    Oben küßte er sie noch einmal, und eigentlich wußte er gar nicht, warum. Doch ja, wenn man genau darüber nachdachte – Freude war's, daß sie da war, daß man den Pfad erreicht hatte, daß man gleich gemeinsam nach Tiflis fuhr, daß man morgen Onkelchen Wanja suchte … Genossen! Eine Wonne ist's, zu leben! Man muß es nur im richtigen Augenblick erkennen.
    Dann saßen sie in dem kleinen Jeep Dimitris, bogen auf die Hauptstraße ein und stießen nach dreihundert Meter Fahrt, die wortlos war, denn jeder dachte über den anderen nach, und es waren zärtliche Gedanken, das sei verraten, Freunde, auf die erste Militärkontrolle. Ein Feldwebel und drei Rotarmisten standen mitten auf der Straße, schwenkten zwei rote Laternen und schrien: »Stoij! Stoij!« als wollten sie eine ganze Armee anhalten.
    Dimitri hielt und beugte sich aus dem Jeep heraus.
    »Ingenieur Sotowskij vom Ölkombinat!« brüllte er. »Der Teufel hole die leeren Hirnschalen! Schon sechsmal bin ich kontrolliert! Bin ich ein Chamäleon, das sich von Minute zu Minute verändert?«
    O ja, brüllen konnte er, der gute Dimitri. Dabei fuchtelte er mit seinem Ausweis herum, und der Feldwebel bekam rote Ohren, einen wütenden Blick und rückte an seinem Koppel.

»Daß Sie kein Kamel sind, Genosse, sehe ich«, sagte er beleidigt.
    »Chamäleon!« schrie Dimitri. »Soll man's für möglich halten? Aus dem Weg, Genossen, ehe mir die Hose platzt!«
    »Wer ist neben Ihnen?« schrie der Feldwebel zurück.
    »Ebenfalls kontrolliert! Wanda Fjodorowa, meine Assistentin!«
    »Der Himmel segne die Sprache, die immer neue Wörter für bestimmte Dinge erfindet«, sagte der Feldwebel anzüglich. Mit einer Taschenlampe leuchtete er Bettina an. Dann grunzte er. »Haben Sie den Mondschein studiert und kontrolliert, Genosse Ingenieur?«
    »Mondschein und Idioten gehören zum täglichen Leben!« brüllte Dimitri zurück.
    »Ein ungehobelter Mensch. Passieren!« sagte der Feldwebel. »Immer müssen sie sich wichtig machen vor ihren Weibchen. Man sollte ihnen in die Schnauze schlagen dürfen.«
    Bis Tiflis kontrollierte sie niemand mehr. Als die Straße sich senkte und aus den Bergen trat, und die Stadt vor ihnen lag – ein Meer von Lichtern, das gegen die Berge spülte und über die Hügel und Ebenen spritzte –, lehnte Bettina den Kopf wieder an Dimitris Schulter.
    »Wohin fahren wir?« fragte sie leise. Und es war gar keine Furcht in ihrer Stimme. Nicht einmal Neugier.
    »Zu mir, Wanduscha.«
    »Zu dir?« Sie sah ihn von der Seite an. Das Profil seines Gesichtes war wie ein scharfer Scherenschnitt. »Schickt sich das, Dimitri Sergejewitsch?«
    »Ich wohne nicht allein. Mein Väterchen ist bei mir. Kolka Iwanowitsch Kabanow.«
    »Ich denke, du heißt Sotowskij?«
    »Väterchen Kolka ist mein zweiter Vater. Mütterchen nahm ihn zum Mann, als ich schon siebzehn Jahre alt war. Mein Vater starb in Deutschland. In Gefangenschaft. In Moers liegt er begraben. An Furunkulose starb er. Unter Tage, im Kohlenbergwerk mußte er arbeiten, obgleich er ein Architekt war. Der Krieg, Wanduscha … Aber Väterchen Kolka ist ein guter Vater. Ich liebe ihn, weil auch Mütterchen ihn so liebte. Bis zu ihrem Tode sagte sie, sie sei ein glücklicher Mensch, denn zweimal habe Gott ihr einen guten Mann

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