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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Mutationen finden erst ab Stabsoffizier statt.«
    »Sie sind ein richtiger Offizier? So mit Uniform und Waffen und silbernen Litzen?«
    »Sogar mit einem Gesangbuch für die Truppe und einem mit Erfolg absolvierten Tanz- und Anstandskurs für Bewerber vakanter Stellen an ausländischen Missionen.« Wolfgang Wolter winkte ab, als er Irenes gut gespielten, verwirrten Blick sah. »Das klingt alles sehr hochtrabend. Ich bin Oberleutnant, und wenn ich Glück habe, bekomme ich eines Tages die Stelle eines Attaches an einer Botschaft.«
    »Ich glaube, man nennt das Militärattaché?«
    »Ganz richtig.«
    »Und so etwas werden Sie?«
    »Wenn es den Ministern gefällt.« Wolter lachte und faßte Irene ungeniert unter. »Aber genug davon. Heute bin ich Zivilist – oder mit Faust: Heut bin ich Mensch, heut darf ich's sein! Und einen Bärenhunger habe ich auch. Ich sage das, bevor Sie mein Magenknurren erschreckt.« Es wurde ein schöner Tag.
    Als man sich gegen 19 Uhr trennte, nach einer kleinen Bootsfahrt auf dem Rhein bis Bad Honnef und wieder zurück, vorbei am Drachenfels und seiner berühmten Burgruine, war sich Irene Brandes klar, daß Jurij Alexandrowitsch Borokin sie in einen Auftrag hineingesetzt hatte, der über ihre Kraft ging. Sie fühlte es ganz deutlich, als das kleine weiße Schiff um die Insel Nonnenwerth fuhr und auf dem Rückweg an dem in der Abendsonne weiß leuchtenden schloßähnlichen Gebäude der sowjetischen Botschaft in Rolandseck vorbeituckerte, dem Haus, in dem sie einmal auf den Knien gelegen und geschrien hatte: »Laßt meine Mutter frei! Ich werde alles tun, wenn meine Mutter freigelassen wird!«
    Vielleicht steht Borokin am Fenster seines Zimmers und sieht jetzt hinunter auf den Rhein, dachte sie, während Wolfgang Wolter neben ihr über den Rolandsbogen sprach und sagte: »Sehen Sie dort, die russische Botschaft! Da müßte man mal Mäuschen sein …« Wie immer wird er hinter der Gardine stehen, die Hände auf dem Rücken, und das kleine Boot beobachten, ohne zu wissen, daß ich mit Wolfgang Wolter darin sitze. Oder weiß er auch das? Borokin weiß alles, hatte er immer gesagt, und er bewies es auch mit Kenntnissen, die unheimlich waren.
    Von dieser Minute an, während der ganzen weiteren Rückfahrt, war Irene einsilbig und wie verschlossen.
    »Wann sehen wir uns wieder?« fragte Wolter, als sie sich am Alten Zoll in Bonn verabschiedeten.
    »Ich weiß nicht«, sagte Irene ausweichend. »Vielleicht wieder auf dem Hundedressurplatz?«
    »Erst nächste Woche? Unmöglich! Mein Ajax …«
    »Sie haben sicherlich strammen Dienst.«
    »Abends, nach zwanzig Uhr, könnte ich mich freimachen. Sagen wir übermorgen? Darf ich Sie irgendwo abholen?«
    »Wenn wir uns treffen … am Alten Zoll.«
    »Einverstanden! Übermorgen zwanzig Uhr.«
    »Und wenn es nicht geht? Kann ich Sie erreichen, telefonisch?«
    »Nur unter einer Dienstnummer. 2 01 61, Apparat 918.«
    Irene Brandes nickte. 2 01 61, die Nummer des Verteidigungsministeriums, kannte sie. Apparat 918 … das war der erste kleine Schritt in das militärische Leben des Oberleutnants Wolter.
    »Und wer meldet sich da?« fragte sie ganz harmlos.
    »Ein Oberfeldwebel Schmitz.«
    »Ach so.«
    Sie gaben sich die Hand, und Irene genoß den Glanz in Wolters Augen. Als er ihr die Hand küßte, war es für sie mehr als eine Geste, auch wenn der Kuß nur gehaucht war.
    »Es war ein schöner Tag«, sagte Wolfgang Wolter. »Ich danke Ihnen, Irene.«
    Verwirrt sah sie ihm nach, wie er in seinen Wagen stieg und abbrauste. Schon als er längst über die Rheinstraße entschwunden war, stand sie noch immer am Straßenrand und starrte ins Leere.
    Ich habe mich verliebt, dachte sie. Mein Gott, was soll daraus werden? Es geht ja jetzt nicht allein um mich, sondern auch um Mutter.
    Und sie wußte plötzlich, daß Borokin ein Teufel war und sie einer gnadenlosen Zeit entgegenging.
    *
    Sie hatten Rosinenbrot mit dicker goldener Butter gegessen und dazu süße Kirschenlimonade getrunken. Väterchen Kolka bekam einen Krug Kwaß. »Das süße Zeug verklebt mir die Zunge, meine Lieben«, sagte er und schüttete sich den gegorenen Saft in einen Zinnbecher. »Und was ist ein Mensch, wenn er nicht mehr reden kann? Na? Ich weiß auch keinen Vergleich, woran man sieht, wie schlimm so etwas ist.«
    Man redete eine Stunde so herum, schlich wie die Katze um den Rahmtopf, und keiner hatte den Mut, mit dem Pfötchen in die Milch zu treten. So einfach ist das nämlich gar nicht, Freunde. Da

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