Begegnung in Tiflis
der Affäre herausging, denn ihm hatte man keine Exekutive gegeben. Und nun dieser Mann mit seiner Impertinenz.
Jassenskij beugte sich vor und gab dem Mann aus der Frunse-Straße eine schallende Ohrfeige.
»Oh! Was tut ihr, Genossen?« schrie der Arme, kippte vom Stuhl und legte sich hin wie ein Toter.
Eine Stunde später wußte man, warum er so störrisch war. Schwiegermütterchen Olga hatte eine gute Nase: Nikita Georgijewitsch betrog seine Frau seit sechs Monaten. Auf der Kirmes war er mit dem süßen Schwälbchen Marja gewesen, hatte Honig geschleckt, war Geisterbahn gefahren, immer wieder, denn die längste Strecke ging durch völlige Dunkelheit, kurzum: Nikita hatte Angst, daß dies ins Protokoll kam und Olga, der Drache in seinem Haus, davon erfuhr. Beruhigt war er, als man ihm versicherte, das bliebe Amtsgeheimnis … und da erst sagte er aus.
»Auch eine Pleite, Safon Kusmajewitsch«, meinte General Oronitse, als der Mann aus der Frunse-Straße entlassen war. »Es scheint, wir haben kein Glück.«
»Man wird andere Mittel anwenden.« Oberst Jassenskij sah etwas verstört aus dem Fenster auf die Wachen, die vor dem Hauptquartier hin und her pendelten. »Unsere große Hoffnung ist der Bruder in Bonn.«
»Was soll er schon nützen?« Oronitse bot Jassenskij eine Papirossa an, und der Oberst rauchte sie gierig. »Bisher war es doch so, daß wir das Mädchen haben wollen, um den Bruder zu fangen. Und nun?«
»Wir machen es jetzt umgekehrt!« Jassenskij blies den Zigarettenrauch aus gespitzten Lippen, als pfiffe er ihn hinaus. »Wir werden in Kürze veröffentlichen, daß Agenten ein guter Fang gelungen ist. Oberleutnant Wolter wurde entführt.«
Oronitse sah den Oberst entgeistert an.
»Was soll das?« sagte er fast böse.
»Das halten ihre Nerven nicht aus, wetten?«
»Gut. Dann haben Sie beide. Was kommt dabei heraus?«
»Genosse General … wir haben nur das Mädchen. Das mit dem Oberleutnant, das war nur eine Falle.« Jassenskij lächelte milde über das ehrliche Gehirn des Generals. »Wenn wir aber das Mädchen haben, geht's wieder richtig herum: wir werden den Oberleutnant mit der Nachricht bekommen, daß wir seine Schwester haben. Ein Karussell … aber wir werden nicht schwindelig dabei.«
»Machen Sie, was Sie wollen!« sagte General Oronitse laut. »Ich bin Soldat, kein Agentenjäger.«
»Es wird sich bald alles klären, Fjodor Nikolajewitsch. In Bonn arbeitet bereits Borokin an dem Fall.«
»Wer ist Borokin?«
»Major der Roten Armee und mit hohen Tapferkeitsauszeichnungen dekoriert. Er gilt als völlig gefühllos.« Jassenskij nickte ein paarmal zufrieden. »Wir schicken nicht unsere schlechtesten Leute nach Westdeutschland, bestimmt nicht.«
»Und Borokin hat schon Kontakt mit dem deutschen Oberleutnant?«
»Indirekt.« Jassenskij lächelte hintergründig. »Sie schlafen auf einer gemeinsamen Matratze.«
*
Vierzehn Tage sind für Verliebte wie ein Hauch aus einem blühenden Jasminbusch. Er streichelt über die heißen Stirnen, und sein Duft betäubt.
Ajax und Anette von der Hardthöhe konnten mittlerweile bei Fuß gehen, über eine Mauer springen, einen großen Holzknochen apportieren und bei »Faß zu!« Anzüge zerreißen. Wolfgang Wolter hatte sich eine Woche Urlaub genommen, offiziell, um eine vom Winter übriggebliebene Angina auszukurieren, in Wahrheit, um jeden Tag mit Irene Brandes zusammen zu sein.
Sie fuhren mit den schlanken weißen Schiffen den Rhein hinauf bis Mainz, vorbei an den romantischen Burgen und Weinhängen, und auf einer dieser Fahrten geschah es, daß sie das Gegenschiff verpaßten und in Mainz festsaßen.
»Was nun?« rief Wolfgang Wolter aus und schien sehr verzweifelt zu sein. »Das letzte Schiff! Es wird uns nichts anderes übrigbleiben, als uns ein Hotel zu suchen.«
»Das werden wir wohl müssen«, sagte Irene Brandes und lächelte vor sich hin.
Daß es auch eine Eisenbahn gab, die sie schneller als ein Schiff nach Bonn zurückgebracht hätte, darüber sprach man nicht. Sie fanden ein kleines Hotel direkt am Rhein, saßen auf einer gläsernen Terrasse im Abendrot und tranken Wein.
In dieser Nacht kam sich Irene Brandes abscheulich vor. Sie lag mit dem Kopf auf Wolters Brust und spielte mit zärtlichen Fingern an seinem Gesicht. Sie streichelte ihn, zog die Konturen seiner Nase und seiner Lippen nach und streichelte über seine Augen.
Und dann fragte sie, und es war ihr, als spucke sie Galle aus: »Wolf … was bist du eigentlich? Ich weiß gar
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